Irgendwie habe ich heute, - weiß auch nicht, wieso, -

das akute Bedürfnis, mich
einmal zu "Looking For Someone" zu äußern. TRESPASS ist mein Lieblingsalbum
der Gruppe Genesis. Wieso? Weil ich ein alter Romantiker bin, und diese Platte,
durch ihr mittelalterliches Pastige, durch die verträumte, selbstvergessen anmutende
Arbeit von Mike und Anthony an den 12-saitigen, durch Peters Querflötenbögen,
durch diese ganze surreal anmutende Scheibe mit ihren quälenden Texten, die, mit
Ausnahme von "The Knife", wie ein Fremdkörper im Jahr 1970 herausragt aus einer
Flut von Gegenwartsmusik, knallhartem Rock, und Prog, einzigartig für mich dasteht
im Oeuvre von Genesis. Dieser unverspielten Ernsthaftigkeit begegnen wir in dieser
Form nur noch einmal auf THE LAMB, was ein wenig daran liegt, dass THE LAMB
gleichfalls Kompositionen aus dem Jahre 1970 enthält; und Peter auf THE LAMB
erstmals wieder einerseits so voll abgemischt wird; andererseits auch erstmals wieder
so bluesig, so beseelt, so wirklich aus dem Inneren singt. Deses An-singen
und An-spielen gegen - ja, gegen was eigentlich? Den Zeitgeist? Den Blues? Den
Rock der Stones, den Rock Led Zeppelins? Der Stagnation der englischen Gesellschaft?
Genesis gehen konsequent ihren Weg - und sie sind dabei, ihren Stil zu finden.
Düstere Themen in den Texten. Fabeln, Visionen, Karikaturen, Biblisches.
Looking For Someone beginnt wie ein Blues-Song, wie eben gerade dies, was
Genesis musikalisch hinter sich lassen wollen. Der Blues hier als Stilmittel des
Überkommenen - statt als Katalysator der 68er Träume?! - Das wäre eine gewagte
Theorie, eine These, die nur bedingt standhalten würde. Denn wenn wir
uns die Metaphern des Lyrich (oder textlichen Icherzählers anschauen), erhalten wir
das Bild nicht eines alten Mannes auf der Suche nach etwas, sondern begegnen
hier einem jungen Mann, der sich verloren fühlt in seiner Zeit, und in den Bildern,
die ihm im Alltag begegnen (zum Beispiel dem Mann, der in der U-Bahn sein Porno-Heft
liest). Ein suchender nach Sinn, Aufgabe, und Liebe in einer sterilen, festgefahrenen
Gesellschaft. Die Träume der 68er sind gerade gescheitert, die Gesellschaft hat sich
ein wenig gelockert, aber nicht genug. Die Antworten darauf sind vielfältig, von Anarchie,
bis Flucht in die Romantik. Und genau dies ist das thematische Spektrum der auf den
ersten Blick so unvereinbar erscheinenden Stücke auf TRESPASS von Dusk bis The Knife.
Eine Platte, die sich also doch mitten in ihrer Zeit befindet, ihre Zeit reflektiert.
Diese Querköpfigkeit von Banks, der auf der, - ihm durchaus noch fremden,- Orgel
stur seinen vom Piano kommenden Stakkato-Anschlag spielt (und damit,wahrscheinlich
ohne es zu wollen, oder auch nur zu bemerken, etwas ganz Großes, Eigenes, Wunderbares
kreiert - etwas, was es so nur hier, auf dieser Platte gibt (vergessen wir einmal den Nachhall
dieser Technick bei Can Utility und Seven Stones). Die Wandlung eines Themas von Blues
zum Prog, - den Prog ist es, was uns in der instrumentalen Coda des Songes begegnet, -
diese Verarbeitung klassischer Zitate (Nussknacker), diese barock anmutende, wie aus
Waldeinsamkeit heraufklingenden Flötentöne, diese, fern dem Blues intonierte Telecaster
von Anthony - wild, kraftvoll - da webt und fügt sich erstmals auf Schallplatte, was die
gesamte Genesis-Musik bis DUKE ausmachen soll: Melodie, Sehnsucht, Elegie, Poesie, Hymnik.
Und das alles übertönt von der wild-verzweifelten, alttestamentarischen Stimme eines
Erz-Engels, der mit der ersten Note, die er singt - und diese Platte grandios eröffnet - uns
in seinen unwiderstehlichen Bann zieht. Hier leidet einer, hier quält sich einer, hier macht es
einer weder sich noch uns leicht, und doch; leicht werden wir gefangen, und wollen nie
wieder heraus aus diesem einzigartigen Klang-Universum.