21. Feb 2014, 23:23 » Roland hat geschrieben:Fragile: ja, es ist ja nicht schlimm mal was Neues zu versuchen, aber diese Platte waren nicht mehr die Genesis die ich liebte.
Ist ja auch völlig legitim und es ist ja auch niemand gezwungen, das Endprodukt zu mögen. Ich finde es immer nur etwas traurig und schade, wenn man eine Band nur deswegen kritisiert, weil sie sich musikalisch verändert und mit der Zeit geht und sich nicht daran hält, was auch ja dem "heiligen Gral des Progrock" entspricht. Oder zumindest die Musik machen muss, die man als Fan erwartet.
Mir ist es bei Bands meistens wichtig, dass sie musikalisch vielfältig bleiben und keinen Einheitsbrei produzieren. Wenn man sich mal Bands wie ZZ Top, Status Quo, Nickelback oder (seit mitte der 90er) Bon Jovi anhört, die in den letzten 15 Jahren schon mindestens fünfmal das gleiche Album veröffentlicht haben, mit dem selben Sound, denselben Texten, den selben Melodien, nur in anderer Reihenfolge und mit einem anderen CD-Cover vorne drauf, kann ich nur null Experimentierfreude, null Veränderungen und daraus resultierende Langeweile feststellen und sowas spricht mich nicht an.
Von daher sollte man Genesis einen Raum zum Experimentieren lassen. Im Zweifel kommt vielleicht nichts Brülliges bei raus, und das Auto fährt tatsächlich gegen die Wand, aber die Band versucht wenigstens was neues und setzt die Karre wenigstens in Bewegung, als sie ohne Benzin und Luft auf den Reifen auf dem bröckeligen Bordstein stehen und verrosten zu lassen. Sicher ist Veränderung nicht automatisch mit einer Verbesserung gleichzusetzen. Es ist auch in Ordnung zu sagen, dass einem das Ergebnis dieser Experimente nicht zusagt und man sich lieber eine andere Entwicklung gewünscht hätte. Aber das Experimentieren muss dennoch erlaubt sein.
Und ich bin nach wie vor der Meinung, dass Genesis nur wegen ihres von ihnen ja schon in "Firth of Fifth" besungenen "river of constant change" eine so lange Karriere vergönnt ist/war. Es gingen mit Anthony Phillips, Peter Gabriel und Steve Hackett sicher viele Fans, es kamen aber eben auch noch mehr dazu, da Genesis eben immer mit der Zeit gingen und so auch Musikfans außerhalb des Progfahrwassers ansprachen. Und ohne die Alben von "Abacab" bis "Calling All Stations" hätten auch die Alben von 1970-77 deutlich weniger Käufer gefunden.
Dass Genesis mit "Abacab" neue Wege beschreiten wollten ist ja wirklich verständlich, inzwischen waren die 80er angebrochen und dies ist gottseidank nicht an Genesis vorbeigezogen. Die x-te Auflage von "Foxtrot" oder "Selling England" anno 1981 will ich mir nicht vorstellen, Genesis wären damit jedenfalls mausetot gewesen. Schon mit "Wind & Wuthering" hatten sie mächtig Glück gehabt, nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, so sehr ich dieses Album auch schätze.
"Abacab" war anno 1981 jedenfalls absolut zeitgemäß und musste sich nicht hinter damals angesagten New Wave-Bands wie XTC, The Police, The Cure, Fischer-Z, The Jam, The Clash, The Specials, Siouxsie & The Banshees, Dexy's Midnight Runners oder Madness verstecken und als Fan, der der britischen "New Wave" der frühen 80er aufgeschlossen war, konnte man das Album als überraschend modern und richtungsweisend empfinden, auch wenn man sich eingestehen musste, dass Peter Gabriel mit "Melt" und Phil Collins mit "Face Value" den Boden schon gut bereitet hatten und durchaus einige Schritte im Voraus waren. Sicher war es auch eine gute Idee, einen "modernen" Produzenten wie Hugh Padgham zu verpflichten, der mit Police schon einigen Ruhm erworben hatte.
Wäre ich Musiker, würde ich es an ihrer Stelle auch so machen und wie geht man diese neuen Wege? Indem man wirklich extreme Sachen reinnimmt, das haben sie mit "Abacab" ja auch getan. Es muss nicht immer alles höchst anspruchsvoll und 20 Minuten lang sein etc. Einen kurzen Song zu schreiben stell ich mir sogar schwerer vor als einen langen zu schreiben. In einem langen Song wie "Supper's Ready" oder "Close To The Edge" kann man sagen "hier machen wir mal 2 Minuten Solo rein"; wenn es aber nur 3-4 Minuten sind muss man ganz anders denken. Kürzere Songs waren bei Genesis eh schon immer da (siehe FGTR, "Happy The Man", "I Know What I Like", "Carpet Crawlers", "More Fool Me", etc.)
Genesis waren auch nie Yes, ELP, Jethro Tull oder wer auch immer, Genesis hatten EIN 20min-Stück, dabei beließen sie es. "Stagnation" war der Beginn, die Weiterentwicklung davon war "The Musical Box", dessen Weiterentwicklung "Supper's Ready", der nächste Schritt (wenn auch erst auf dem übernächsten Album) war dann "The Lamb".
"Abacab" ist eben ein radikaler Bruch, und so soll es auch sein. Wenn man sich verändern will dann darf man nicht denken "unsere Fans wollen das und das", man muss machen was einem in dem Moment gerade Spaß macht. Ob die Musiker die Songs in 20 Jahren noch genauso sehen ist nicht wichtig, es ist wichtig das zu machen was einem Spaß macht, ohne Grenzen zu kennen, sich neu zu erfinden. "Scratch My Back" von uns Peter ist auch sowas, auch Bruce Springsteen hat, einfach weil er Lust darauf hatte, eine Platte mit Irish Folk Sachen aufgenommen. Kaufen muss es niemand und es ist immer noch Geschmackssache, aber der Künstler schreibt die Songs zunächst für SICH allein und nicht für die Fans. Klingt vielleicht egoistisch, ist aber die einzige Möglichkeit auch ehrlich und authentisch zu bleiben. Wenn Bands nur die Musik machen die ihre Fans hören wollen, dann klingt es aufgesetzt. Sicher hätten Genesis auf "Abacab" auch mehr Sachen in Richtung "Dodo/Lurker" oder "Me And Sarah Jane" machen können, aber das ist immer nur eine von vielen Seiten dieser Band gewesen. Gerade wenn man als Band oder Solokünstler jahrelang im Geschäft ist, ist so ein Bruch sinnvoll, siehe auch U2 ("Achtung Baby", "Pop").
Wie gesagt, niemand muss den Weg, den Genesis gegangen sind, voller Überzeugung mitgehen, andererseits kann ich auch diese Argumente a la "ich bin halt ein Kind der 70er" nicht wirklich nachvollziehen. Ich akzeptiere das auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite scheinen einige Leute irgendwo dort auch stehen geblieben zu sein. Vielleicht hat man da aber auch wie ich weniger Probleme, wenn man sich, natürlich auch aufgrund der späteren Geburt, die Chronologie von Genesis rückwärts abarbeitet. Ich habe von jedem Genesis-Jahrzehnt etwas und kann kein Genesis-Jahrzehnt meinen Favorit nennen und so unvoreingenommen an alle Stilrichtungen gehen und Songs wie "Land of Confusion", "I Can't Dance", "No Reply At All" oder "That's All" für coole Pop-Songs halten, weil ich nicht peinlich berührt gleichzeitig an "Firth Of Fifth", "Cinema Show" oder "Watcher Of The Skies" denken muss. Sollten vielleicht andere auch mal so machen, und genau die bekommen mit "Abacab" den Spiegel vorgehalten.
So, dies war mein langes "Wort zum Sonntag".
Oldenburg91 hat geschrieben:Im Übrigen: "Abacab" finde ich klasse... hat für mich nichts zu tun mit "mutig, aber schlecht gemacht", da sind astreine Songs drauf, die einen ganz neuen Ton anschlagen. Eher sehe ich es so, dass sie noch zu viele Kompromisse ("Like it or not" und "Man on the Corner" statt z.B. "Naminanu") eingegangen sind.
"Naminanu" wäre schon interessant gewesen, es innerhalb der geplanten "Dodo"-Suite zu hören. "Man On The Corner" möchte ich allerdings auch nicht missen, denn es ist gerade live ("Archive Vol. 2") einer der besten Gesangsleistungen von Collins.
"Like It Or Not", okay, ist halt eine der typischen Rutherford-Nummern mit dem markanten Shuffle (siehe auch "Deep In The Motherlode"), wobei mir die Abschluss-Coda (..."it's been a long, been a long, long, long time, but if I'm right or if I'm wrong, does it matter anyway?") immer sehr gefallen hat. Ansonsten ist "Like It Or Not" gemeinsam mit "Another Record" der treffendste Abschluss, den Genesis für "Abacab" finden konnten. Vorher: "Mögt es oder lasst es". Danach "Legt einfach ne andere Scheibe auf". Funktioniert prima!
21. Feb 2014, 23:23 » Roland hat geschrieben:Und als sie auf dem dazugehörigen Konzert in Frankfurt (30.10.1981) gar ausgebuht wurden, war ich wohl mit meiner Meinung nicht alleine. "Buh" zu rufen wäre mir aber nie eingefallen, dazu bin ich zu höflich, es war mir da geradezu peinlich. Auch mein Freund der dabei war schaute mich erschrocken an, weil er die Buh-Rufe daneben fand.
An Buh-Rufe kann ich mich bei diesem Konzert (war nicht da, habe aber den TM-Bootleg davon) gar nicht erinnern, Leiden war da wohl deutlich schlimmer.
Buh-Rufe findet ich aber ebenfalls so oder so ziemlich respektlos. Wenn man zu einer Tour geht, bei der ein neues Album promotet wird, muss man damit rechnen, dass von diesem Album sicherlich einige Songs in der Setlist zu finden sein werden. Wenn einem das Album nicht gefällt, kann man ja immer noch zu Hause bleiben. Die Band deswegen auszubuhen ist, wie man auf neu-deutsch so schön sagt, ein "absolutes No-Go"!
21. Feb 2014, 23:23 » Roland hat geschrieben:Aber ich wollte hier jetzt gar kein Diskussion über die CD heraufbeschwören, dazu gibt es ja das IT Forum, ich wollte nur nach dem Bootleg fragen. Wahrscheinlich würde mir dort ein Mitglied namens "Tom" sofort den Link zum Torrent schicken....aber da geht dann das wieder los. Ich will doch nur ein CD-R und keinen PC-Lehrgang. :ohman:
Im IT gibt es neben Tom doch noch weit über 5.500 User, davon alleine knapp 400 aktive User. Mindestens einer davon kann dir doch sicherlich weiterhelfen.