[REVIEW] Progeny - Seven Shows from Seventy-Two
Verfasst: Di 18. Aug 2015, 23:02

Die ganze Szene war in einem kreativen Rausch.
Jede Woche wurde ein neues Albummeisterwerk veröffentlicht.
Die Musiker wurden virtuoser, die Lyrics versponnener, die Soli länger, Songs mutierten zu Kompositionen, Konzepte wurden entwickelt und technische Möglichkeiten ausgelotet.
An der Spitze der Bewegung standen YES.
Band: Jon Anderson – vocals, percussion Steve Howe – guitar, vocals Chris Squire – bass, vocals Rick Wakeman – keyboards Alan White – drums | Production: Brian Kehew – production, 2014 mixing Steve Woolard – production Carmine Rubino – original 1972 recording Geoff Haslam – original 1972 recording Mike Dunn – original 1972 recording Dean Phelps – mastering Paul Silvera – management Kate Dear – packaging management Josh Phillips – product manager Todd Lampe – project assistance Ralph Bennett – project assistance Mike Johnson – project assistance Pat Smear – project assistance Larry Fast – project assistance Gene Stopp – project assistance Steve Frothingham – project assistance |
Zu schade, denn YES bereiteten ein gigantisches Triple-Live-Album vor und schnitten viele Live-Shows mit.

Bruford war nur auf den Tracks Perpetual Change und Long Distance Runaround / The Fish zu hören.
Es wäre zu schön gewesen, ihn bei allen Tracks zu hören.
Zum Glück fand man mit Alan White einen fähigen Nachfolger, der jedoch andere Akzente als Bruford setzte und der Band mehr Rockpower und weniger Jazzswing verlieh.
Das erste Konzert mit Alan White war im Memorial Auditorium [Dallas, Texas] am 30.7.1972, für das er sich nur 5 Tage vorbereiten konnte.
Bis zu den hier vorliegenden Aufnahmen, für die Progeny-Box, hatte White weitere 45 Konzerte absolviert und sich mit Chris Squire zu einer grandiosen Rhytmusfraktion entwickelt.
Nun, wie kam es zur Archiv-Box “Progeny - Seven Shows from Seventy-Two”?
Anlass gaben die Remix-Projekte von Steven Wilson, für die man Original-Masterbänder und Bonusmaterial suchte.
Dabei entdeckten die Experten von Rhino Records im WMG vault (Warner Music Group) in New York die Multitrack-Bänder von 8 Shows der Nordamerika-Tour aus dem Spätjahr 1972.
Von der Existenz dieser Original-Tonbänder war nichts bekannt, was diesen Fund zur Sensation macht.
Verbürgt ist, dass folgende 4 Tracks auf der YESSONGS-Lp aus den Progeny-Tapes Verwendung fanden:
01 November 1972: Ottawa Civic Centre, Ottawa, Ontario, Canada Roundabout 12 November 1972: Greensboro Coliseum, Greensboro, North Carolina, USA Heart Of The Sunrise 14 November 1972: University Of Georgia, Athens, Georgia, USA Siberian Khatru Yours Is No Disgrace |
Bis heute ist der mässige HiFi-Klang ein Kritikpunkt von YESSONGS , wobei man unter den gegeben Umständen Eddy Offord eine erstklassige Arbeit zugestehen muß.
Erschwerend kommt hinzu, dass Offord viele Overdubs vorgenommen hat, sämtliche Störgeräusche eliminiert und Publikumsgeräusche sowie Raumanteile weitgehend entfernte.

Vergeblich wartet man bis heute auf ein neuerliches Mastering bzw. einen Remix von YESSONGS , wofür die Multitrack-Bänder leider nicht zur Verfügung stehen.
Joe Gastwirt hatte 1994 wohl nur das originale finale Masterband zur Verfügung womit man die genannten Fehler nicht beheben kann.
Über den Verbleib der Multitrack-Bänder kann nur spekuliert werden, vielleicht wurden sie verlegt, falsch beschriftet, versehentlich gelöscht oder gar beim Brand im Archiv von Atlantic Records 1978 zerstört.
Zurück zur Progeny-Box.
Hier stand der Produzent Brian Kehew vor dem gleichen Problem wie Offord anno 1973.
Zunächst mussten die Aufnahmen in mühevoller Kleinarbeit restauriert werden, wobei keine digitalen Hilfsmittel eingesetzt wurden.
Dabei verfolgte Kehew eine andere Klangphilosophie wie üblich.
Er machte keine Overdubs, beließ die Hallräume, korrigierte keine Störgeräusche oder Spielfehler.
Die so naturbelassenen Aufnahmen erhalten dadurch eine Lebendigkeit und natürliche Dynamik die einen direkt in die 1. Reihe eines Konzertes katapultiert.
Die Anordnung der einzelnen Instrumente wurde auch sehr authentisch ausgeführt.
Ganz links hört man Steve Howe, ganz rechts Rick Wakeman, Alan White und Jon Anderson in der Mitte und Chris Squire zwischen White und Wakeman.
Von den 8 Shows war eine unbrauchbar, da einige Bänder durch Feedback gestört wurde.
Betroffen war die Show vom 25 September 1972 in Hartford, Connecticut.
Folgende 7 Shows wurden veröffentlicht:
31 Oktober 1972: Maple Leaf Gardens, Toronto, Ontario, Canada 01 November 1972: Ottawa Civic Centre, Ottawa, Ontario, Canada 11 November 1972: Duke University, Durham, North Carolina, USA 12 November 1972: Greensboro Coliseum, Greensboro, North Carolina, USA 14 November 1972: University Of Georgia, Athens, Georgia, USA 15 November 1972: Knoxville Civic Coliseum, Knoxville, Tennessee, USA 20 November 1972: Nassau Veterans Memorial Coliseum, Uniondale, New York, USA |
Opening (Excerpt From Firebird Suite) Siberian Khatru I’ve Seen All Good People a. Your Move b. All Good People Heart Of The Sunrise Clap/Mood For A Day And You And I i. Cord Of Life ii. Eclipse iii. The Preacher The Teacher iv. Apocalypse Close To The Edge i. The Solid Time Of Change ii. Total Mass Retain iii. I Get Up I Get Down iv. Seasons Of Man Excerpts From “The Six Wives Of Henry VIII” Roundabout Yours Is No Disgrace |
Über den Sinn sich 7 Shows mit der gleichen Setlist anzuhören lässt sich trefflich streiten.
YESSONGS bietet schließlich die Essenz der letzten 3 YES-Meisterwerke komplett.

Da wurden einzelne Songs von unterschiedlichen Aufnahmetagen zusammengeschnitten, teilweise spielten Howe, Squire und Wakeman einzelne Stellen im Studio nach.
Das Howe-Solo von Yours Is No Disgrace ist z.B. eine Studioaufnahme, bei Roundabout wurden Stimmen gedoubled.
Ganz anders bei der Progeny-Box.
Für Patzer wie bei The Solid Time of Change im Greensboro Coliseum hätte man Steve Howe, im Youtube-Zeitalter, verhöhnt.
Diese Aufnahmen zeigen, dass jeder YES-Musiker hier und da mal was verhauen hat, es gab sogar komplette Shows [Hartford] die schief liefen, nur heute wird das gnadenlos ausgeschlachtet.
Dafür gibt es auch die überirdischen Momente, wie die 16 minütige Version von Yours Is No Disgrace [Greensboro Coliseum] mit einem übermütigen Sänger und rasenden Soli von Steve Howe.
YES hatten/haben zwar den Anspruch im Konzert den gleichen Sound wie im Studio zu bieten, [wofür sie auch Eddy Offord als Soundmixer mitnahmen] variierten ihre Stücke aber von Konzert zu Konzert.
Schon wie die Musiker ins Opening laufen und hörbar ihre Instrumente einstöpseln und anspielen, beschert Gänsehaut.
Steve ist ein unermüdlicher Musiker, seine Licks treiben jeden Song, bei jedem Konzert, anders an.
Auch Wakeman spielt sehr variabel, z.B. finde ich die Keyboardruns bei Siberian Khatru in der Durham Show stärker als etwa bei YESSONGS.
Bei seinen Excerpts ändert er bei jedem Konzert die Struktur der einzelnen Ausschnitte, die Bomben und Sirenen-Effekte [die von Larry Fast, bekannt von P.Gabriel, Nektar und Solo, montiert wurden] werden auch nicht immer eingesetzt.

Es ist eine Wonne den A capella Gesang bei Your Move von Howe, Squire und Anderson mal exakt heraus zuhören.
Die Ansagen von Jon wurden nicht geschnitten, es wurde mit unterschiedlichen Sounds experimentiert auch die laut/leise-Dynamik der Instrumente finde ich sehr spannend.
Dadurch wird jede Show einzigartig, zu einem Erlebnis, das eine knisternde Live-Atmosphäre erzeugt.
Ob jetzt die YESSONGS oder die Progeny Scheiben die klanglich überzeugenderen sind, ist sicher Geschmackssache.
An YESSONGS hat mich schon immer das eingeengte Stereobild gestört.
Irgendwie kam alles aus dem Zentrum fast wie Mono und die Ortung der Instrumente ist kaum möglich.
Aufgrund der geringen Staffelung gehen viele Feinheiten verloren.
Auf der Progeny ist das Stereobild sehr breit und entspricht der Bandanordnung auf der Bühne.
Das kommt sehr authentisch und aufgrund der besseren Transparenz werden viele Details hörbar die vorher im Mix untergingen.
Natürlich auch Störungen, wie beim Toronto-Auftritt als Wakemans Anlage plötzlich Radiosignale empfingen.
Zu dieser Zeit wurden Liveaufnahmen noch mittels Mikrophonen gemacht [Dafür war Geoff Haslam (Bruder von Annie Haslam) und Mike Dunn verantwortlich]
Da bekam Jeder Musiker eine Spur und weitere Stützmikrophone nahmen die Rauminformationen auf.
Das schwierigste war das Aufstellen der Mikrophone.
Hervorragend waren meistens die Aufnahmen von Jon Anderson und Steve Howe, Drums sind grundsätzlich schwierig, die größte Herausforderung war aber wohl der Bass.
Man kann ja auch noch mit dem YESSONGS-Film [15.12.72, Rainbow Theatre] vergleichen und da ging der Bass wesentlich tiefer.
Vermutlich wurden die Aufnahmen der Bassspur mit denen von Rick Wakeman vermischt.
Das macht bei der Abmischung große Probleme bei der Anordnung im Stereobild, deshalb kommt Chris Squire hin und wieder etwas diffus rüber und der Tiefbass fehlt durchweg.
Das wäre aber mein einziger Kritikpunkt.
Wie auch immer, YESSONGS hat einen großen Bruder bekommen, bei mir stehen die beiden Sets auf Augenhöhe und ergänzen sich prima.
Progeny ist für ambitionierte YESFans unverzichtbar, schon alleine wegen dem neuen Roger Dean Artwork -Fantastisch!
Ich hoffe, dass noch weitere Ausgrabungen von ähnlichem Kaliber folgen.
10 / 10 Punkte

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