Grundsätzlich besteht bei Argumentationen ein Dilemma: Jeder kann die Voraussetzungen oder Argumente, die zu einer Schlussfolgerung / Hypothese führen, anzweifeln, im unfairsten Fall sogar ohne Beibringung von Gegenargumenten. So was beendet in meinem Fall aber eine Diskussion, so auch passiert mit einem Verwandten, zu dem ich ehemals sehr guten Kontakt hatte. Während eines Disputs über die Coronasituation kam an einem bestimmten Punkt nur noch die Aussage: „Mit den Impfungen soll etwas anderes bezweckt werden!“ Also noch nicht mal eine konkrete Hypothese, noch dazu ohne Begründung, denn auf Nachfragen folgte die Antwort: „Das werdet ihr alle noch sehen!“ Letztlich wurde sein Ton im weiteren Verlauf ziemlich aggressiv, was die Konversation und den Kontakt bis jetzt beendet hat. Aber auch wenn Gegenargumente beigebracht werden - wir alle wissen, dass Dispute selten dazu führen, dass der Gesprächspartner (nicht -gegner! So sollte man grundsätzlich nicht denken!) vollständig überzeugt wird. Aber ggf. übernimmt oder überdenkt man gewisse Ansatzpunkte und modifiziert basierend darauf seinen eigenen Standpunkt. Idealerweise schaltet man seine Emotionen dabei aus, um der Ratio gänzlich die Bühne zu überlassen, doch „bedauerlicherweise“ sind wir ja Menschen und keine Vulkanier. Bewusst machen sollte man sich aber schon, dass überschäumende Emotion meistens kein guter Argumentationslieferant ist (ich nehme mich von diesem Phänomen nicht aus, das ist mir in der Vergangenheit ja auch schon passiert). Ggf. kann das eine Art kurzfristige „Überredung“ mit Verhaltensänderung bewirken, aber sicher nicht fundierte Überzeugung, eher schon trotzige Zementierung des Standpunktes der angegriffenen Partei.
Ich persönlich denke, dass viele Coronakritiker nicht so sehr medizinische Bedenken als Grundvoraussetzungen ihrer Argumentationen bzw. Argumentationsketten aufweisen. Derzeit haben wir mit hoher Wahrscheinlichkeit wirksame und sichere Impfstoffe. Wie gesagt – mit hoher Wahrscheinlichkeit. Vor Überraschungen sind wir nicht gefeit, seien sie auch noch so wenig wahrscheinlich –weder ich noch irgendjemand anders besitzt eine Glaskugel, die zum Blick in die Zukunft befähigt. Kaum eine Argumentation vermag sich auf ein ganz sicher geltendes Fundament zu stützen. Ggf. in der Mathematik, aber selbst da gibt es unbewiesene oder besser gesagt, nicht beweisbare Prämissen, die Körperaxiome, auf denen diese Wissenschaft letztlich in ihrer Gesamtheit und Komplexität fußt. Im Misstrauen gegenüber staatlichen Autoritäten konvergieren im Wesentlichen die Gründe derjenigen, die eine Impfung ablehnen. Ich will nicht in Abrede stellen, dass manche dieser Gründe verständlich sind, ich kann abschweifend sogar eingedenk der prekären Lebensverhältnisse die Argumentationsketten mancher US-Amerikanern, die Donald Trump gewählt haben, in Teilen (!) durchaus nachvollziehen, aus meiner Sicht wiederum eine essenzielle Basis, um mit diesen Leuten ins Gespräch zu kommen. Ein gewisses Misstrauen bzw. Wachsamkeit gegenüber staatlichen Institutionen ist sogar eine wichtige Voraussetzung jeder Demokratie, kann aber eben auch so extreme Züge annehmen, dass dem Staat oder bestimmten Parteien resp. politischen Grundüberzeugungen jegliche Vertrauenswürdigkeit abgesprochen wird. Voraussetzende Gründe hierfür gibt es einige, das soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. Zumindest in der derzeitigen Krise habe auch ich für viele Entscheidungen der Bundesregierung und der EU wenig Verständnis, selbst unter Berücksichtigung der Binsenweisheit „Hinterher is‘ man ja immer schlauer!“. Bei fehlendem Impfstoff hätte derselbe Personenkreis, der sich jetzt gegen Impfungen ausspricht, dem Staat möglicherweise unterstellt, die Herstellung wirksamer Impfstoffe intentionell zu sabotieren, um das Volk mittels Zwangsmaßnahmen unter Kontrolle zu halten und am lautesten ein erlösendes Vakzin gefordert, Demonstrationen inklusive – das Resultat wäre im Alternativszenario also ähnlich gewesen.
In diesem Fall gehe ich davon aus (um es mal wieder durchzukauen…), dass die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 schwer zu erkranken und Langzeitfolgen zu erleiden, weitaus größer ist als die Risiken beim Impfen, das zeigen zumindest bisherige Zahlen. Auch Impfkampagnen vor Corona haben sich unter dem Strich als vorteilhaft erwiesen (Ich erinnere nur an den Erfolg der Pockenimpfungen). Dass es Stimmen namhafter Wissenschaftler, Blogger etc. gibt, die gegenteilige Auffassungen vertreten, ist nicht verwunderlich und auch gar nicht prinzipiell verwerflich, es mögen gute Ansätze und Denkanstöße darunter sein. Im Gegenteil, die Meinungsfreiheit ist durch das Grundgesetz geschützt und dieser Artikel 5 ist auch einer jener Grundätze (Art. 1-20), die gemäß Art. 79 Abs. 3 GG nicht berührt werden dürfen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass genau diese Stimmen ggf. und zum Teil sogar sicher ganz bewusst einen Markt bedienen und dies nicht immer ganz ohne beispielsweise politische und/oder finanzielle Interessen, also aus nicht grundsätzlich „ehrenhaften“ Motiven heraus. Ich erinnere hier u.a. an Literatur, die sich gegen Impfungen im Allgemeinen wenden und die zum Teil auch dem rechten Spektrum zuzuordnen ist, prominentes Beispiel hierfür ist der Kopp-Verlag, der u.a. das Buch „Die Impf-Illusion“ vertreibt, ebenso sind dort Titel wie „Wer hat Hitler gezwungen, Stalin zu überfallen?“ im Programm. Letztlich ist es auch immer sehr bequem, mühevoll erstellte Studien reflexartig spekulierend anzuzweifeln oder gar „in der Luft zu zerreißen“, ohne gegenteilige, wirklich belast- und reproduzierbare Daten vorzulegen. Und ich denke auch, dass sich jeder, der sich nicht impfen lässt, eine Infektion mit Covid-19 zuziehen wird, so wie jeder schon mal einen grippalen Infekt erlebt hat. Die meisten werden es überleben, allerdings werden auch einige daran (ja – genau daran) sterben. Ich persönlich hänge an meinem bisschen Leben und habe insofern die Absicht, mich bestmöglich gegen das Virus in Stellung zu bringen, was auch für meine Mitmenschen und damit auch diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, vorteilhaft ist – auch für die nehme ich also letztlich das überschaubare Impfrisiko auf meine Kappe, ich Held

.