Bill Bruford - Interview "Frankfurter Rundschau" 19.12.09
Verfasst: Sa 19. Dez 2009, 13:49
Quelle:
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/ ... cnt_page=1
Bill Bruford im Interview
"Ja, der Schlagzeuger kann schreiben!"
Er spielte bei King Crimson und Yes: Der Schlagzeuger Bill Bruford im FR-Interview darüber, warum die Rolling Stones nicht aufhören aufzutreten, er aber sehr wohl.
Warum gibt es so viele Schlagzeuger-Witze?
Ich weiß es nicht. Aber unter den Berliner Philharmonikern kursieren wahrscheinlich Witze über Bratschisten, und in Big Bands handeln die Witze von Posaunisten.
Jetzt hat der Schlagzeuger sogar eine Autobiografie geschrieben!
zur Person
Bill Bruford entwickelte sich in den siebziger Jahren zu einem der stilbildenden britischen Schlagzeuger des so genannten Art Rock mit Bands wie Yes und King Crimson. Seit Mitte der achtziger Jahre wandte er sich verstärkt dem Jazz zu und feierte
Erfolge unter anderem mit der elektroakustischen Formation Earthworks. Bill Bruford ist inzwischen 60 und will nicht mehr öffentlich auftreten. Warum, das ist in seinem Buch mit dem simplen Titel "The Autobiography " zu lesen.
http://www.billbruford.com Ja, der Schlagzeuger kann schreiben! Ermüdet von den Witzen über sich holt der Drummer zum Gegenschlag aus. Ich hatte über die Jahre schon Gedanken und Emotionen skizziert. Ich hatte zudem Cultural Studies Seminar im Rahmen eines Bachelor Studiums ein Seminar in Guildford gehalten über die populäre Musik von 1929 bis zur Gegenwart. Für dieses Seminar habe ich viel geforscht. Das Buch geht aber von meinen persönlichen Erfahrungen aus und extrapoliert sie zu einem größeren Bild über die Bedeutung von Musik: Wie gehen wir mit Musik um? Wozu ist sie da? Ein Buch zu schreiben, hilft einem zu verstehen, was man getrieben hat über all die Jahre.
Die Ankündigung der Autobiographie ging einher mit der Nachricht, dass Bill Bruford nicht mehr live auftritt. Nicht wenige werden das für einen Witz gehalten haben.
Ist es aber nicht, ich halte es für absolut vernünftig. In der Tat handelt das Buch ja auch vom Aufhören: Wie hört man auf? Warum werden die Rolling Stones nicht aufhören? Warum ist es das Schicksal von Musikern, in Hotelzimmern zu sterben? Warum ist mir nicht erlaubt, mich wie mein Vater im Alter von 60 Jahren zurückzuziehen? Ich habe 41 Jahre lang gespielt, und ich kann Ihnen versichern: Das war´s von mir.
Haben Sie auch aufgehört zu üben?
Nein, ich spiele auch weiterhin Schlagzeug. Das ist sehr gut für die Koordination des Gehirns.
Und es gibt niemanden, der Sie wieder auf die Bühne bewegen kann?
Niemanden. Ich habe das Interesse daran verloren. Speziell die letzten Kapitel des Buches beschäftigen sich damit, warum ich nicht weiter öffentlich spiele. Das hat damit zu tun, dass man jedes Konzert spielt, als wäre es das letzte. Nach 41 Jahren kann diese Haltung sehr ermüden. Das Buch handelt auch von dem Gegensatz zwischen der privaten und der öffentlichen Person. Von der Schwierigkeit, die eher privat orientierten Menschen - wie mir - daraus entstehen, dass sie sich durchgängig an Leute wie Sie heranmachen müssen. Das ist ein sehr unerfreulicher Aspekt des modernen Musikertums. Ich muss mich verkaufen, ich bin gehalten, viele Interviews zu geben, ich muss mich erklären. Das ist nicht langweilig, es ist eher unziemlich. Es ist unziemlich, sich immer wieder zu überwinden und anderen Menschen aufdrängen zu müssen. Und es ist eine Wohltat, sich zurückziehen zu können.
Das bedeutet also nicht, dass es keine neuen Aufnahmen von Bill Bruford geben wird?
Korrekt. Ende letzten Jahres habe ich mit dem Komponisten Colin Riley eine Produktion beendet, die in diesen Wochen veröffentlicht wird: "Piano Circus", das Album heißt "Skin and Wire".
Wie werden Sie Ihre Tage verbringen?
Ich weiß es noch nicht genau. In diesem Jahr bin ich gut beschäftigt. Über das nächste weiß ich noch wenig. Aber ich weiß definitiv, worum es nicht gehen wird: Reisen! Und keine Zeit am Computer!
Wie haben die Kollegen reagiert?
Überrascht. Musikern scheint es nicht erlaubt zu sein, in den Ruhestand zu gehen. Ich denke aber, jeder ist auf eine andere Art Musiker. Manchem fliegt die Musik nur so zu. Andere, ich zum Beispiel, finden das Musikmachen anstrengender. Man ist immer in Sorge um die Qualität, um ihren Nutzen. Ich bin froh aufzuhören.
Von Frank Zappa schrieb: "music comes from composers - not musicians". Sie unterscheiden in Ihrem Buch zwischen Künstlern und Handwerkern. Sehen Sie Verwandtschaften zu Zappa?
Ja, vielleicht. Wir vergessen hier allerdings den Jazzmusiker, der komponiert, indem er spielt. Er ist ist im gleichen Moment Komponist und Musiker.
Ohnehin liest sich Ihr Buch wie ein Lob des Jazzmusikers. Sie haben sich schon sehr früh, bei "Yes" zwischen 1968 und 1972, wie ein Jazzmusiker verhalten, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Stimmt. Als junger Mann hätte ich eigentlich Jazzmusiker sein sollen, aber 1968 in London wollte jeder lieber zur Band von Jimi Hendrix gehören als zum Spontaneous Music Ensemble. Ich denke schon, dass ich mit diesem Buch versuche, eine Lanze für den Jazzmusiker zu brechen, der heute in England eine Art Witzfigur zu werden droht.
Das Gegenmodell zum Jazzmusiker in Ihrem Buch ist die Band Yes. Während ein Jazzer bereits ein komplettes Stück eingespielt hätte, haben die Yes-Mitglieder sich gerade mal geeinigt, welche Sandwiches sie bestellen wollen.
Yes war eine sehr langsame Gruppe. Damals war viel Geld vorhanden, man konnte sich erlauben, dass fünf Leute an einem Tag nur das Instrumentarium aufbauen und erst am nächsten mit den Proben beginnen. Das wäre heute undenkbar.
So analytisch das Buch meist ist, es gibt doch eine Stelle, wo Sie sentimental werden: "Wenn das Kabinett des britischen Premierministers auf dem selben Niveau kooperierte wie das legendäre Miles Davis Quintet, dann würden wir eine völlig andere Form des Regierens erfahren." Dann zitieren Sie Theo van Leuuwen: "Musik kann als abstraktes Abbild sozialer Organisation verstanden werden, als die Geometrie einer sozialen Struktur." Tatsächlich arbeitet das Kabinett unter völlig anderen Voraussetzungen als die Miles Davis Group.
Das Problem liegt in übersteigertem Management. Der Premierminister glaubt, er müsse alles tun; Miles war nicht der Auffassung, alles tun zu müssen - er hat sich auf den Pianisten verlassen.
Inwieweit haben Sie sich mit Musik-Theorie und -Philosophie beschäftigt?
Nicht mehr als man von einem normalen Musiker erwarten dürfte, der sich einen Reim auf die Dinge machen will. Die Idee zu diesem Buch entstand aus dem Kontakt mit Leuten, die mich fragten, was ich eigentlich tue. Viele halten Musik für ein Hobby, dem man gelegentlich, abends zum Beispiel, nachgeht. An solche Leute richtet sich dieses Buch. Denen möchte ich grob erklären, was ein Schlagzeuger tut: Wie fühlt man sich, wenn man in einem Jazzclub spielt oder in einem Stadion?
Wie kommt es, dass England über viele Jahre so viele exzellente Schlagzeuger hervorgebracht hat?
Unsere amerikanischen Kollegen scheinen handwerklich besser zu sein, aber über weniger Fantasie zu verfügen. Briten können recht gut die Tatsache ignorieren, dass sie handwerklich über geringere Kapazitäten verfügen, diese aber viel erfindungsreicher einsetzen. Amerikaner sind meist besser trainiert, aber oft eben auch konservativ. Ich bewundere den französischen Schlagzeuger Daniel Humair. Er betrachtet Schlagzeug- spielen als einen Teil seines Lebens neben anderen, er kann nicht stundenlang darüber reden. Das bewundere ich sehr. Manche Leute finden Schlagzeugspielen sehr leicht, Daniel gehört dazu. Für mich ist es viel schwerer. Ich brauche einen musikalischen Zusammenhang, eine Begründung - dann kann ich spielen. Ohne das bin ich verloren.
Interview: Michael Rüsenberg Frankfurter Rundschau
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/ ... cnt_page=1
Bill Bruford im Interview
"Ja, der Schlagzeuger kann schreiben!"
Er spielte bei King Crimson und Yes: Der Schlagzeuger Bill Bruford im FR-Interview darüber, warum die Rolling Stones nicht aufhören aufzutreten, er aber sehr wohl.
Warum gibt es so viele Schlagzeuger-Witze?
Ich weiß es nicht. Aber unter den Berliner Philharmonikern kursieren wahrscheinlich Witze über Bratschisten, und in Big Bands handeln die Witze von Posaunisten.
Jetzt hat der Schlagzeuger sogar eine Autobiografie geschrieben!
zur Person
Bill Bruford entwickelte sich in den siebziger Jahren zu einem der stilbildenden britischen Schlagzeuger des so genannten Art Rock mit Bands wie Yes und King Crimson. Seit Mitte der achtziger Jahre wandte er sich verstärkt dem Jazz zu und feierte
Erfolge unter anderem mit der elektroakustischen Formation Earthworks. Bill Bruford ist inzwischen 60 und will nicht mehr öffentlich auftreten. Warum, das ist in seinem Buch mit dem simplen Titel "The Autobiography " zu lesen.
http://www.billbruford.com Ja, der Schlagzeuger kann schreiben! Ermüdet von den Witzen über sich holt der Drummer zum Gegenschlag aus. Ich hatte über die Jahre schon Gedanken und Emotionen skizziert. Ich hatte zudem Cultural Studies Seminar im Rahmen eines Bachelor Studiums ein Seminar in Guildford gehalten über die populäre Musik von 1929 bis zur Gegenwart. Für dieses Seminar habe ich viel geforscht. Das Buch geht aber von meinen persönlichen Erfahrungen aus und extrapoliert sie zu einem größeren Bild über die Bedeutung von Musik: Wie gehen wir mit Musik um? Wozu ist sie da? Ein Buch zu schreiben, hilft einem zu verstehen, was man getrieben hat über all die Jahre.
Die Ankündigung der Autobiographie ging einher mit der Nachricht, dass Bill Bruford nicht mehr live auftritt. Nicht wenige werden das für einen Witz gehalten haben.
Ist es aber nicht, ich halte es für absolut vernünftig. In der Tat handelt das Buch ja auch vom Aufhören: Wie hört man auf? Warum werden die Rolling Stones nicht aufhören? Warum ist es das Schicksal von Musikern, in Hotelzimmern zu sterben? Warum ist mir nicht erlaubt, mich wie mein Vater im Alter von 60 Jahren zurückzuziehen? Ich habe 41 Jahre lang gespielt, und ich kann Ihnen versichern: Das war´s von mir.
Haben Sie auch aufgehört zu üben?
Nein, ich spiele auch weiterhin Schlagzeug. Das ist sehr gut für die Koordination des Gehirns.
Und es gibt niemanden, der Sie wieder auf die Bühne bewegen kann?
Niemanden. Ich habe das Interesse daran verloren. Speziell die letzten Kapitel des Buches beschäftigen sich damit, warum ich nicht weiter öffentlich spiele. Das hat damit zu tun, dass man jedes Konzert spielt, als wäre es das letzte. Nach 41 Jahren kann diese Haltung sehr ermüden. Das Buch handelt auch von dem Gegensatz zwischen der privaten und der öffentlichen Person. Von der Schwierigkeit, die eher privat orientierten Menschen - wie mir - daraus entstehen, dass sie sich durchgängig an Leute wie Sie heranmachen müssen. Das ist ein sehr unerfreulicher Aspekt des modernen Musikertums. Ich muss mich verkaufen, ich bin gehalten, viele Interviews zu geben, ich muss mich erklären. Das ist nicht langweilig, es ist eher unziemlich. Es ist unziemlich, sich immer wieder zu überwinden und anderen Menschen aufdrängen zu müssen. Und es ist eine Wohltat, sich zurückziehen zu können.
Das bedeutet also nicht, dass es keine neuen Aufnahmen von Bill Bruford geben wird?
Korrekt. Ende letzten Jahres habe ich mit dem Komponisten Colin Riley eine Produktion beendet, die in diesen Wochen veröffentlicht wird: "Piano Circus", das Album heißt "Skin and Wire".
Wie werden Sie Ihre Tage verbringen?
Ich weiß es noch nicht genau. In diesem Jahr bin ich gut beschäftigt. Über das nächste weiß ich noch wenig. Aber ich weiß definitiv, worum es nicht gehen wird: Reisen! Und keine Zeit am Computer!
Wie haben die Kollegen reagiert?
Überrascht. Musikern scheint es nicht erlaubt zu sein, in den Ruhestand zu gehen. Ich denke aber, jeder ist auf eine andere Art Musiker. Manchem fliegt die Musik nur so zu. Andere, ich zum Beispiel, finden das Musikmachen anstrengender. Man ist immer in Sorge um die Qualität, um ihren Nutzen. Ich bin froh aufzuhören.
Von Frank Zappa schrieb: "music comes from composers - not musicians". Sie unterscheiden in Ihrem Buch zwischen Künstlern und Handwerkern. Sehen Sie Verwandtschaften zu Zappa?
Ja, vielleicht. Wir vergessen hier allerdings den Jazzmusiker, der komponiert, indem er spielt. Er ist ist im gleichen Moment Komponist und Musiker.
Ohnehin liest sich Ihr Buch wie ein Lob des Jazzmusikers. Sie haben sich schon sehr früh, bei "Yes" zwischen 1968 und 1972, wie ein Jazzmusiker verhalten, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Stimmt. Als junger Mann hätte ich eigentlich Jazzmusiker sein sollen, aber 1968 in London wollte jeder lieber zur Band von Jimi Hendrix gehören als zum Spontaneous Music Ensemble. Ich denke schon, dass ich mit diesem Buch versuche, eine Lanze für den Jazzmusiker zu brechen, der heute in England eine Art Witzfigur zu werden droht.
Das Gegenmodell zum Jazzmusiker in Ihrem Buch ist die Band Yes. Während ein Jazzer bereits ein komplettes Stück eingespielt hätte, haben die Yes-Mitglieder sich gerade mal geeinigt, welche Sandwiches sie bestellen wollen.
Yes war eine sehr langsame Gruppe. Damals war viel Geld vorhanden, man konnte sich erlauben, dass fünf Leute an einem Tag nur das Instrumentarium aufbauen und erst am nächsten mit den Proben beginnen. Das wäre heute undenkbar.
So analytisch das Buch meist ist, es gibt doch eine Stelle, wo Sie sentimental werden: "Wenn das Kabinett des britischen Premierministers auf dem selben Niveau kooperierte wie das legendäre Miles Davis Quintet, dann würden wir eine völlig andere Form des Regierens erfahren." Dann zitieren Sie Theo van Leuuwen: "Musik kann als abstraktes Abbild sozialer Organisation verstanden werden, als die Geometrie einer sozialen Struktur." Tatsächlich arbeitet das Kabinett unter völlig anderen Voraussetzungen als die Miles Davis Group.
Das Problem liegt in übersteigertem Management. Der Premierminister glaubt, er müsse alles tun; Miles war nicht der Auffassung, alles tun zu müssen - er hat sich auf den Pianisten verlassen.
Inwieweit haben Sie sich mit Musik-Theorie und -Philosophie beschäftigt?
Nicht mehr als man von einem normalen Musiker erwarten dürfte, der sich einen Reim auf die Dinge machen will. Die Idee zu diesem Buch entstand aus dem Kontakt mit Leuten, die mich fragten, was ich eigentlich tue. Viele halten Musik für ein Hobby, dem man gelegentlich, abends zum Beispiel, nachgeht. An solche Leute richtet sich dieses Buch. Denen möchte ich grob erklären, was ein Schlagzeuger tut: Wie fühlt man sich, wenn man in einem Jazzclub spielt oder in einem Stadion?
Wie kommt es, dass England über viele Jahre so viele exzellente Schlagzeuger hervorgebracht hat?
Unsere amerikanischen Kollegen scheinen handwerklich besser zu sein, aber über weniger Fantasie zu verfügen. Briten können recht gut die Tatsache ignorieren, dass sie handwerklich über geringere Kapazitäten verfügen, diese aber viel erfindungsreicher einsetzen. Amerikaner sind meist besser trainiert, aber oft eben auch konservativ. Ich bewundere den französischen Schlagzeuger Daniel Humair. Er betrachtet Schlagzeug- spielen als einen Teil seines Lebens neben anderen, er kann nicht stundenlang darüber reden. Das bewundere ich sehr. Manche Leute finden Schlagzeugspielen sehr leicht, Daniel gehört dazu. Für mich ist es viel schwerer. Ich brauche einen musikalischen Zusammenhang, eine Begründung - dann kann ich spielen. Ohne das bin ich verloren.
Interview: Michael Rüsenberg Frankfurter Rundschau