
Trisector – das neueste Album von Van der Graaf Generator. Was bedeutet der Titel überhaupt?
Der 1937 gestorbene Mathematiker Frank Morley entwickelte das sog. Morley's Trisector Theorem, das besagt, dass für sämtliche Dreiecke folgende Regel gilt: „Wenn man jeden Innenwinkel in drei gleich große Winkel teilt und die Schnittpunkte derjenigen zwei Teilungslinien, die von den Endpunkten dieser Seite ausgehen und zu dieser Seite benachbart sind, betrachtet, erhält man das Morley-Dreieck, das innerhalb der drei entstandenen Eckpunkte liegt. Unabhängig von der Form des Ursprungsdreiecks ist das Morley-Dreieck immer gleichseitig.“

Klingt komplizierter als es ist. Seht Euch einfach mal eine Weile die Zeichnung an. Von da aus ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zum Cover des VdGG-Albums.
Was soll das Cover aussagen? Es wirkt kalt, und im Gegensatz zum 2005-Album „Present“ sind nur noch drei Musiker in einer Art Industriegebäude auf ihm zu sehen. Durch Lichtstrahlen verbunden steht dort das Trio:
Hugh Banton – Organ, Bass, Guitar
Guy Evans – Drums, Percussion
Peter Hammill –Vox, Guitars, Pianos
(wie im Booklet in alphabetischer Reihenfolge)
Jackson ist nicht mehr dabei.
Die Silbe „Tri“ steht für „3“, das Wort „Sector“ bedeutet eigentlich „Schneider“, wird aber meist im Sinne von „Abschnitt“ verwendet. Zumindest ist der Weggang von Jackson ein „Einschnitt“. Und wiederum hat Morley festgestellt, dass in jedem Dreieck noch ein weiteres liegt. Ob damit jetzt Jackson gemeint ist oder einfach die Musik von VdGG – darüber mag ein jeder Hörer selbst philosophieren.
Vielleicht nehmen VdGG mit dem Cover eine Tradition auf. Ihre Cover wirken häufig leer und einsam (s. auch „The Quiet Zone / Pleasuredom“, „The Least we can do…” oder “Pawn Hearts”, wo die Figuren in keinerlei Kontakt zueinander stehen) oder kühl und düster (s. auch „Present“, „World Record“ und „Godbluff. Wer denkt da nicht an Syd Barrett erinnert: „Wish you were here!“
The Hurlyburly (dt. Trubel, Tumult) beginnt mit Rauschen einer Maschine, zu dem sich Hammills riffende Gitarre immer lauter werdend hinzugesellt. Dann übernimmt Banton die Kontrolle und gießt das Instrumentalstück durch seine wiederkehrenden schweren Melodien in Form. Über diesem Song jedoch schwebt Hammill als Gitarrist, der seine Sache durchaus gut macht. Er rifft nicht nur für seine, sondern auch für VDGG-Verhältnisse, was das Zeug hält. Obwohl dieses Lied nicht sonderlich variabel ist, endet es nach fünf Minuten eigentlich zu früh.
Den Begriff Hurlyburly hat Shakespeare geprägt. Im Prolog zu Macbeth wird er von einer Hexe verwendet. „Hurlyburly“ ist auch der Titel einer Tragikomödie von 1998, in dem es um Drogenmissbrauch, Freundschaft und Frauen geht. Der Film endet mit einem Selbstmord, einem Thema was auch auf der Trisector noch aufgegriffen wird.
Wie Interference Patterns (Interferenzmuster) angelegt, ist der nächste Song. Im Intro treffen kurze Klaviermelodiefolgen auf das Riff, was später den Song untermalen wird. Die Überlagerung dieser Elemente bildet den Song. Die philosophischen Strophen sind tatsächlich von physikalischen Theorien beeinflusst: „Everything’s formed from particles /All that you see is a construction of waves.“
Hier ist wieder Morley im Spiel, allerdings nicht Frank, sondern Edward, der zusammen mit Abraham Michelson heraus fand, dass auch Lichtwellen sich analog zu Wasserwellen und Schallwellen in einem Medium ausbreiten, das man als Lichtäther bezeichnete. Da wird der Text schon beinahe mystisch.
Die anfangs angesprochene Kälte wird nun noch intensiviert:
The Final Reel ist sehr traurig und endet mit dem Selbstmord der Protagonisten ( “[Jack] presses the pills in her hand.“ ) Die Geschichte ist am besten durch eine Zusammenstellung der Lyrics erzählt:
„Jack and Gillian, facing their decline / take to the dance floor for the final time."
(dt. J. und G. werden mit ihrem Verfall konfrontiert, gehen ein letztes Mal auf die Tanzfläche)
"Sayonara, tschuss, adieu, farewell / Will we meet again? No-one can tell
This much they know, they’ll not leave the final reel alone.“ (dt. sie wissen, dass sie die letzte Rolle nicht allein verlassen werden)
Der Song erinnert an das Stück „Curtains“ von Peter Hammills Album „Fireships“. Hier sind es Jack und Gillian, dort Sylvia und Tommy. In beiden Fällen geht es um ein Paar, das nicht weiß, wie es im Leben zurecht kommen soll. Ach, und dann diese melancholische, ja traurige Stimmung in der Musik.
Lifetime ist ein sehr ruhiger Song, der so auch auf einem Soloalbum von Peter Hammill hätte erscheinen können. Seine wabernde Gitarre vor einem fast schüchtern zu nennenden Orgelspiel, dazu die unaufdringlichen Hi-Hats, sowie behutsame Bass-Tupfer Das klingt so zurück genommen, dass man fürchtet, die Musik könnte auseinanderbrechen. Diese Zerbrechlichkeit kommt auch im Text zum Ausdruck. „I look for solidity to hold…”. Das Lied endet mit der schönen Zeile „It takes a lifetime to unlearn all that you know, to return the things you borrowed for a day.”
Drop Dead (übersetzt: „Umwerfend“ oder „tot umfallen“ oder auch „Verpiss dich!“) ist wohl aus The Hurlyburly entstanden, oder umgekehrt. Auf jeden Fall ähneln sich die musikalischen Motive dieser Songs stark. Auch wenn der Song verhältnismäßig fröhlich anmutet, so ist doch die Wortwahl von „Drop Dead“ ein weiterer Hinweis auf die Todesthematik, wie sie Hammill besonders intensiv in seinem Soloalbum „Singularity"(2006) aufgregriffen hat. Hier jedoch analysiert er, wie Männer sich aufspielen, um Frauen zu gefallen und dann doch nur ein „Drop Dead“ (vornehm ausgedrückt etwa: Rutsch mir den Buckel runter) erhalten. Sicherlich der leichteste Song des Albums.. Er klingt instrumental aus, um fließend in...
...Only in a Whisper überzugehen. Jenes Lied klingt zunächst wie eine Soundcollage, die nur durch den wummernden Bass in Form gegossen wird. Die einzige Konstante bildet die Phrase: „Some thoughts should be spoken only in a whisper.“ Hat der Song eine Botschaft? Wir können es nur vermuten.
Nach dem eher gleichförmigen Whisper, legt das Trio nun wieder richtig los. Banton haut in die Tasten, Hammill rifft rum und Evans drescht auf die Felle ein. Wirkt fast wie straighter Rock. Ganz und gar nicht wie All that before. Hektik, Verwirrung, Paranoia. Beschrieben wird das Seelenleben eines Alzheimer-Kranken, der merkt, wie ihm sein Leben immer mehr entgleitet. Starker Song, aber irgendwie auch gruselig.
Der lange Weg Over the Hill dauert 12:30 und man wähnt sich zunächst in einer Tropfsteinhöhle. „Let’s recount our history“ lädt Hammill ein. Es fällt auf, dass dieser Song sehr ruhig gehalten ist. Es ähnelt fast einem Rezitativ bis sich der Klangteppich Bantons und das Schlagzeugspiel Evans nach vier Minuten plötzlich geschickt intensivieren und den Hörer einfach mitnehmen oder das man weiß wie einem geschieht. Dann wieder ein Bruch, der Soliloquent beginnt wieder. Nur begleitet von ruhigen kurzen Melodiefolgen und dem wie immer satten Sound Evans. Und dann ist es nicht zu überhören, dass Hammill singt. Der typische Schreigesang verzahnt mit schrägen Riffs und Bantons alarmierenden Keyboards bildet die zweite Klimax des Songs. Ruhig wird es in diesem Lied erst wieder ganz am Ende. Hammill singt jetzt befreit in einem musikalischen Teil, den man wohl als stellvertretend für das „neue“ Trio ansehen kann.
(We are) not here klingt nach diesem fulminanten Höreindruck zwar etwas unverständlich, aber der Song ist durchaus interessant. Ist er doch einer der wenigen, die auf diesem für VDGG-Verhältnisse(!) recht melodischen Album die wirklich schräge Seite der drei besonderen Musiker herauskehrt. Ein unerwarteter, aber durchaus beeindruckender Schlusssong eines Albums, das überrascht hat. Das Ende des Songs erinnert wieder an das Rauschen der Maschine, die Visitenkarte einer industrialisierten Gesellschaft. Der Kreis schließt sich.
Das Trio hat nicht nur, aus welchen Gründen auch immer, einen Mitmusiker sondern auch ein wichtiges Instrument verloren. Das Saxophon war bezeichnend für den Bandsound und fehlt nur hier, oder doch nicht? Das muss jeder für sich entscheiden.
