Deep Purple - NOW What?!
Verfasst: Di 21. Mai 2013, 03:05

NOW What?!
Deep Purple auf Chartposition 1 in Deutschland, Österreich und Tschechien! Erster Top-20-Eintrag in Großbritannien seit 30 Jahren.
Meine Deep-Purple-„Karriere“ begann am 07.02.2006 mit einem Konzert der Rapture-Of-The-Deep-Tour in Kiel. Dies war nicht nur mein erstes Konzert der Band, sondern mein erstes Konzert überhaupt. Es folgten bisher drei weitere (u.a.: http://yes.siteboard.eu/f95t1528-marill ... -2010.html ), wobei Deep Purple auch immer einen guten Geschmack für Support Acts gezeigt haben. Damals, 2006, empfing mich unbedarften Konzertneuling übrigens Alice Cooper.
Ich bin also mit der Spätphase der Band aufgewachsen und das 2003-Album Bananas zählt nach wie vor zu meinen Liebsten. Nun, acht Jahre nach dem Rapture, haben sich die dauertourenden Endsechziger noch einmal aufgerafft, ein neues Studioalbum aufzunehmen.
Es beginnt mit einem ungewohnt ruhigen und träumerischen Gitarrensolo von Morse über einem fast jazzigen Klangteppich. Dann setzt Gillan mit einer ebenso zurückhaltenen Strophe („time it does not matter…“) ein und danach die ganze Band. Und ich grinse in mich hinein. Deep Purple haben nach Genesis den meiner Meinung nach kompaktesten Bandsound überhaupt. In der aktuellen Besetzung (seit 2002) greift einfach alles ineinander, so auch bei diesem "Simple Song". Zum Ende kommt die Band wieder zur Ruhe.
Unmittelbar an den Rock-Part des Openers anschließend, reist die Band nach "Weirdistan". Im Mittelteil überrascht Airey mit einer Art Keith-Emerson-Solo, gleich darauf rast Morse in gewohnter Manier über sein Griffbrett. Kein besonders auffälliger Song, aber insgesamt in einem sehr modernen Gewand wie man es schon auf Rapture of the Deep gehört hat.
Dramatisch der beginnt der nächste Song. Sturm? Verkehrslärm? Ich kann es nicht genau identifizieren, danach Streicher. Dann groovt die Band durch "Out of Hand".
Ich muss an Genesis‘ Duke-Suite denken. Stilistisch sind sich die ersten drei Songs und lassen sich im Albumkontext wunderbar als Ganzes hören, als einzelne Titel ragen sie nicht heraus.
Zu den beiden vorab in Radio und Fernsehen promoteten Songs des Album gehören „All the time in the world“ und das nun folgende „Hell to pay“. Schon das Vorgängeralbum krankte stellenweise an selten dämlichen Refrains. So auch bei "Hell to pay": Strophen witzig, die Bridge geht ins Ohr, der Refrain verdirbt das Hörvergnügen.
Aber der nächste Song sorgt für Trost. Ein lockerer Drumsound von Paice und kleines Intermezzo von Morse und Airey lassen zunächst an Lazy denken. In der Tat hat der nicht besonders anspruchsvolle aber kurzweilige Song "Body Line" für mich aber durchaus Hitpotential.
Ich weiß nicht, was wen und wieso bei "Above and Beyond" geritten hat, aber als fürsorglicher Fan der Band hülle ich darüber lieber den Mantel des Schweigens…
"Blood from a Stone" greift eine ganz andere, eine melancholische Stimmung auf. Gillan präsentiert sich als Bariton, um dann im anklagenden Refrain auszubrechen. Sehr schönes und passendes Piano-Solo von Airey im Mittelteil, welches von einer Sprechgesang-Passage gefolgt diesen Song vielschichtig macht. In den letzten zwei Minuten ist wieder der Deep-Purple-Effekt zu bestaunen. Den Sound immer weiter verdichtend schafft die Band hier einen bemerkenswerten Song!
Auch wenn die Band live öfters improvisiert und Instrumental-Passagen einen großen Teil des Sets einnehmen, überrascht "Uncommon Man" trotzdem durch sein dreiminütiges Intro. Leider wirkt die Keyboard-Fanfare etwas platt. Das kann Gillan auch mit sehr guter gesanglicher Leistung nicht retten. Der letzte Gitarren-dominierte Teil ist besser.
Aber "Après Vous" entschädigt auf der Stelle. Es rockt, es frickelt, es (und vor allem Glover) groovt, hier ist alles dabei: Einfach toll! (und viel zu kurz)
"All the time in the world" hat bei mir für unruhige Nächte gesorgt, weil ich es Wochen vor der VÖ im Radio gehört hatte. Ich war schockiert. Lahm, platter Text und hoffentlich nicht repräsentativ für das Album. Letzteres trifft zum Glück zu! Und nur schlecht ist das Stück, welches die Gelassenheit des Alter(n)s („I could be a wild receiver, but I got everything I need“, „Sometimes on a good day, I sit and think“) beschreibt, auch nicht. Es passt „zum Runterkommen“ sehr gut an das Ende dieses Albums.
Kaum hab ich mein Frieden mit „All the time in the world“ geschlossen, wird mir klar, dass dies gar nicht das Ende des Albums ist. WARUM nicht?
Nach diesem Moment der Ruhe dröhnen plötzlich Orgelklänge untermalt mit Chorgesang durch meine Lautsprecher. Die Band entführt in "Vincent Price"’s Gruselkabinett. Der Videoclip zu diesem gespentischen Song ist durchaus witzig, Gillans Schrei am Ende beeindruckend, aber die Platzierung als letztes Lied dieses Albums völlig unpassend. Dieser Track wäre auf der Bonus-CD der Limited Edition besser aufgehoben.
Fazit:
Zwei, drei Songs hätten einfach nicht sein müssen (man muss ja nicht alles veröffentlichen, was man schreibt), zwei drei andere hätte man noch etwas ausfeilen können, es fehlen die „ganz großen“ Stücke, aber das ist alles Meckern auf hohem Niveau und vielleicht nur deshalb, weil NOW What?! unerwartet das Potential birgt, eines der besten in der mittlerweile 45-jährigen Bandgeschichte zu sein!