Karnataka "Secrets of Angels"
Verfasst: Fr 1. Mai 2015, 19:23
KARNATAKA
SECRETS OF ANGELS
Das letzte Album "The Gathering Light" liegt bereits fünf Jahre zurück. Daher ist es nicht ganz so verwunderlich, dass Karnataka auf ihrem neuen Album erneut in geänderter Besetzung daher kommt. Als Gründungsmitglied ist nur Ian Jones dabei geblieben, der gleichzeitig das Mastermind der Gruppe ist. Die aktuelle, multinationale Besetzung (Pinna ist Italiener, Tozluoglu Türke und Pallagrosi Franzose) besteht aus
- Hayley Griffiths / Vocals
- Ian Jones / Bass, Keyboards, Guitars
- Enrico Pinna / Guitars, Vocals
- Cagri Tozluoglu / Keyboards
- Jimmy Pallagrosi / Drums
Unterstützt werden sie auf diesem Album von
- Troy Donockley (Nightwish) / Uilleann Pipes, Whistles
- Seána Davey / Harp
From the Royal Philharmonic Orchestra:
- Rachel van der Tang - Cello
- Clive Howard - Viola
- Lynn Cook - Violin
Die Stilrichtung der Band wird auf ihrer Facebook-Seite als Symphonic Rock, Progressive Rock und Celtic World bezeichnet. Sicher wäre auch der Begriff Neo-Prog zutreffend. Informationen aus erster Hand zur Band bekommt man auf folgenden Seiten:
http://karnataka.org.uk/
https://www.facebook.com/KarnatakaOfficial?_rdr
Im Yes-Forum hat sie einen eigenen Thread:
http://yesforum.phpbb8.de/bands-musiker ... t1009.html
Das Cover:
Passend zum Thema wird ein knieender Engel abgebildet, dessen Flügel brennen. Zu sehen ist übrigens nicht Hayley Griffiths, sondern das Model Jessica Truscott. In einem Song wird das Motiv des Phoenix erwähnt, des Vogels, der verbrennt und aus seiner eigenen Asche aufersteht. Die Parallele ist sicher nicht zufällig. Auf den drei der acht stimmungsvollen Bildern im Booklet tauchen Vögel auf. Der Fotokünstler, der eine leicht verfremdete Krähe im Portrait abgebildet hat, wird sogar in den Credits namentlich erwähnt. Krähen und Raben spielen in der Mythologie genauso eine Rolle wie in Märchen und Sagen. Noah ließ bei der Sintflut einen Raben fliegen, Odin wurde durch einen Raben symbolisiert, es gibt das Märchen von den sieben Raben, König Artus soll nach einigen Quellen in einen Raben verwandelt worden sein.
Wir bewegen uns also auf diesem Album in der Welt der Mystik, was sich in den Texten widerspiegelt. Es geht um Liebe und Tod, Rache und Versöhnung, alte Kulturen und verborgene Welten. Ein Titel lautet Fairytale Lies = Märchenlügen. Vieles ist allegorisch gemeint. Dabei finde ich die Texte gar nicht mal so wesentlich für das Album. Auch für Hörer, die es nicht so mit dem Englischen haben, verliert die Musik nicht an Wert. Der Sound kommt so gewaltig rüber, dass man seine Aufmerksamkeit auf die Instrumente und die Stimme(n) lenken kann, ohne dabei das Gefühl hat, irgendetwas zu versäumen.
Karnataka stand immer schon für Klangfülle. Das war selbst auf den ersten Alben so. Diesem Anspruch sind sie nicht nur treu geblieben, sie haben ihn als Ansporn genommen, den Hörer noch tiefer in ihre Musik eintauchen zu lassen. Das ist ihnen schon auf "The Gathering Light" gelungen, und ich hätte nicht gedacht, dass sie dieses Niveau halten können. Auf "Secrets of Angels" fahren sie zwar nicht ganz so viele Gastmusiker auf wie auf dem Vorgängerwerk, dafür klingen die Tracks durchkomponierter und gewinnen durch die klassischen Arrangement von Cagri Tozluoglu. Die klassisch ausgebildete Sängerin Hayley Griffiths brilliert durch sichere Melodielinien und ihre wunderbar klare Stimme. Mit ihren Vorgängerinnen Rachel Jones und Lisa Fury kann sie es ohne weiteres aufnehmen. Aber mit den Sängerinnen hatte Bandleader Ian Jones ja immer schon eine glückliche Hand. Wir hören außer den analogen Streichinstrumenten synthetische Orchester und Chöre, sowie auf dem Keyboard generierte Instrumente, die ich als Laie nicht sicher benennen kann. Aufgenommen wurde das Album übrigens in Peter Gabriels Realworld Studios in Box und in den Londoner Quadra Recording Studios.
Tracklist:
Road to Cairo (5:27)
Because of You (4:53)
Poison Ivy (4:14)
Forbidden Dreams (5:48)
Borderline (6:19)
Fairytale Lies (4:58)
Feels Like Home (7:06)
Secrets of Angels (20:04)
Road to Cairo:
Es verwundert bei dem Titel nicht, dass der Song mit arabisch anmutenden Klängen beginnt. Textlich bietet er einen Einstieg in die o. g. Thematik.
Mystery unfolds
Road to Cairo calls
Ancient lands that hold
The key to understanding who we are
Das Mysterium wird enthüllt
Die Straße nach Kairo ruft
Uralte Länder halten
den Schlüssel zum Verständnis, wer wir sind
Treibender Bass und auftürmende Keyboardklänge lassen den Fan ahnen: hier kommt wieder etwas Großes. Haley Griffiths singt mit fester Stimme in allen Tonlagen so sicher, dass man sich niemand anderes als Sängerin wünscht. Die Strings tragen zu einem großen Teil an der mystischen Atmosphäre bei. Ein gelungener Opener. [Persönliche Anmerkung: Meine heimliche Befürchtung, das Niveau von "The Gathering Light" würde nicht gehalten werden können, hatten sich schon bei diesem Track verflüchtigt.]
[BBvideo 360,250][/BBvideo]
Because of You
Nach diesem fulminanten Start wird der nächste Song mit Solopiano eingeleitet. Das Lied über eine enttäuschte Liebe, das im zweiten Teil in ein fast aggressiv zu nennendes Gitarrensolo mündet. Nicht mein Lieblingssong auf dem Album, aber wie heißt es so schön: Das Bessere ist der Feind des Guten.
Poison Ivy
Und das (subjektiv) Bessere folgt dann auch mit dem giftigen Efeu. Mit Wucht brechen Naturgewalten über den Hörer herein.
Stormy Winds are howling (stürmische Winde heulen)
Mother Nature rages (Mutter Natur rast)
Tormenting Shadows shiver the Leaves (peinigende Schatten erschauern das Laub)
um nur einige Zeilen zu zitieren. Es geht um eine desaströse Liebe. Die Frau bezeichnet ihren Liebhaber als giftigen Efeu. Die Dramatik in der Musik entsteht durch große Chor- und Orchesterklänge. Beeindruckend!
Forbidden Dreams
Ruhiger und sogar ein bisschen verträumt geht dieser Song los. Karnataka kann alles, nur keine Schnulzen. Drums'n Bass sorgen dafür, dass man nicht ans Einschlafen denkt. Im Gegenteil. Die Sängerin fleht "Release me from theses forbidden dreams". Hier kommt der Harmoniegesang wunderbar zur Geltung.
Borderline
Tiefe Saitentöne und dumpfes Geläut lassen an einen Friedhof denken. Aus diesem Klang erhebt sich Hayleys Stimme wie ein Phoenix aus der Asche. Wieder einmal geht es um eine Liebe, die nicht aufrichtig ist (s. Poison Ivy). Der Lover hat eine Grenze überschritten, die er hätte respektieren müssen.
Silence now, nothing to say
Don't look back, that was yesterday
Save your tears, no regret
The road ahead, a lonely friend
Schweigen, nichts mehr zu sagen
Sieh nicht zurück, das war gestern
Spar dir deine Tränen, kein Bedauern
Die Straße liegt vor dir, ein einsamer Freund
Musikalisch wirkt die Trennung wie ein Befreiungsschlag. Ich fühle mich ein bisschen an Jim Steinman (Meat Loaf, Bonny Tyler) erinnert, nur dass der Groove hier wesentlich schwerer ist.
Fairytale Lies
Ein wirklich lyrischer Song und fast ein bisschen zu schön für dieses eher wuchtige Album. Die Strophen kommen ohne Drums aus und stehen damit in einem herrlichen Kontrast zum Refrain, in dem Hayley Griffiths gleich mehrfache Gesangslinien ziert. Bei diesem und beim nächsten Song fragte Frau Aprilfrost mehrmals nach, ob wir nicht doch gerade ein Musical hören.
Ganz von der Hand zu weisen ist der Eindruck nicht. Vielleicht liegt es am perfekten Arrangement. Jedenfalls ist es nach der Klangfülle der letzten Songs eine Wohltat, sich in diesen Ruhestrom sinken zu lassen wie in einen bequemen Sessel. Der Song endet in einer offenen Piano-Linie, was keineswegs unangenehm wirkt, weil es nach wenigen Sekunden weiter geht mit
Feels Like Home
Die märchenhafte Stimmung wird auch in diesem Song weiter vermittelt. Nur geht es hier hymnischer zu. Das Intro in Form zarter Klavierklänge wird behutsam durch Strings und Flöten verstärkt. Der Gesang wirkt hier völlig entspannt. Nach all den verkorksten Liebesgeschichten, von denen bisher gesungen wurde, kann Hayley nun endlich von der Erfüllung ihrer Sehnsüchte erzählen.
"Gonna love like I never loved before ...
Baby, you're the reason ...
Feels like I've come home for sure"
Ich werde lieben, wie ich nie zuvor geliebt habe ...
Du bist der Grund ...
Es fühlt sich an, als wäre ich endlich zu Hause angekommen
Ich erlaube mir, hier einen Auszug aus einer Review in den Progarchives zu zitieren (eigene Übersetzung): "In einem so feinen Track wie "Feels like home" tritt die Genialität der Einfachheit strahlend hervor, eine seelenvolle, aufrichtige Reflektion von Myriaden kleiner Mosaiksteine, die unsere tägliche Routine ausmachen." Klingt nicht wirklich neu, diese Komposition, aber wohl deshalb so vertraut und beruhigend. Ich mag das.
[BBvideo 360,250][/BBvideo]
Secrets of Angels
Kommen wir nun zum Herzstück des Albums, den Titel-Track. Nie zuvor hat sich Karnataka an einen echten Longtrack gewagt. Wer so etwas macht, muss sich Vergleiche mit den großen Suiten der Rockmusik messen lassen - oder es gar nicht erst versuchen. Karnataka kann sich mit diesem facettenreihen Stück, das in 7 Sätze eingeteilt ist, hören lassen. Um die Rezi nicht ausufern zu lassen, möchte ich hier nicht näher auf den Text eingehen. Das hole ich vielleicht mal nach. Die Überschriften mögen vorerst genügen.
Part 1: The Temptress / Die Verführerin
Keltische Pfeifen vermitteln den Eindruck einer kahlen nordischen Ebene. (Erinnerungen an Scarborough Fair werden geweckt.) Nach genau einer Minute setzt der verführerische Gesang ein, etwas später Trommeln, die einen eigenartigen Druck auf die Musik und den Hörer ausüben. Bei 3:48 Einsatz des Orchesters, dass einem die Ohren wegfliegen, um bei 4:15 in einen wiegenden, schwingenden Rhythmus überzugehen. Wir befinden uns in
Part 2: Crimson Tears / Blutrote Tränen
Der Gesang schwebt über himmlischen Chören, die glücklicherweise nur soweit hörbar sind, dass sie die Lead-Stimme tragen, aber nicht verwischen. Schon ab 5:30 wird der Gesang abgelöst durch ein powervolles Gitarrensolo und bereits bei 5:57 verklingt diese musikalische Schlacht wie in eine akustischen Dunkelheit. Einzig eine Harfe spielt verloren ihre Weise und symbolisiert passend
Part 3: Last Dawn / Letzte Dämmerung
Aufgenommen wird die musikalische Linie von einem glockenreinen "Aahaahaah". Verweile doch, du bist so schön! Aber keine Chance, denn bei 7:17 beginnt
Part 4: The Battle / Die Schlacht
Heftige orchestrale Sounds werden aufs Schlachtfeld geworfen. Martialisch. Wir kennen das von Bands wie Nightwish oder Apocalyptica oder auch vom Herrn der Ringe Soundtrack. So plötzlich wie sie begonnen hat, ist die Schlacht bei 8:52 auch schon wieder vorbei. Dieselbe Stimme, die eben noch ohne Text phrasierte singt nun ein
Part 5: Requiem for Life / Requiem für das Leben
Das klingt traurig und tröstlich zugleich - wie es bei einem Requiem ja auch sein soll. Fast a capella, nur das Cello schwingt auf der tiefen Saite mit.
Part 6: In the Name of God / Im Namen Gottes
Sound und Rhythmus dieses Teils (ab 9:49) scheinen mir ein bisschen an meinem bisherigen Lieblingssong der Band, "Forsaken" (von The Gathering Light) angelehnt. Hier strahlt alles in den hellsten Klangfarben. Die Band bildet eine Einheit, niemand spielt sich in den Vordergrund. Alle Instrumente sind präsent und geben - alles.
Part 7: Secrets of Angels / Die Geheimnisse der Engel
Sieben Minuten dauert das Finale. Es erinnert mich an das (kürzere) Ende von Supper's Ready. Sieben Minuten hymnisches Gepränge - kann das gut gehen? Karnataka schafft es tatsächlich, dabei nicht zu langweilen, dank des differenzierten Einsatzes der Instrumente. Insbesondere die gälische Flöte und die E-Gitarre kommen hier wunderbar zur Geltung. Solostimme und Chor ergänzen sich perfekt, und alle zusammen bringen dieses außergewöhnliche Werk zu einem einwandfreien Ende.
Zum Schluss noch einmal ein Zitat zu diesem Longtrack aus den Progarchives, dem ich nichts hinzu zu fügen habe:
"Mit Bedacht wurde der gewaltige Titeltrack an des Ende des Albums gesetzt, ein majestätisches und grandioses Finale, das einen enormen Eindruck von Zufriedenheit hinterlässt. Brillant aufgebaut mit wiederkehrenden Keltischen Themen (unter der Leitung von Troy Donockley), gewürzt mit feinen Pfeifen, Flöten, Harfen und Saiteninstrumenten, und verziert mit einer kolossalen Orchestrierung, gigantischen Choreffekten und der opernhaften Stimme von Hayley, deren Stimme ein Spektrum aufweist, dass sich dir die Härchen im Nacken aufrichten. Es ist alles dabei: Stimmen, eine verwegene Mischung von musikalischen Experten, summende, schleppende Bässe, tektonische Drum-Erschütterungen, schimmernde Gitarrenphrasen und überbordende Keyboardfarben, die einen atemlos und höchstzufrieden entlassen. Dies ist schlicht eines der feinsten epischen Stücke, die uns im Jahr 2015 erfreuen werden".
Hatte ich beim Album des Monats April (Todmobile) durchblicken lassen, dass man als Progfan davon enttäuscht werden könnte, so kann ich bei "Secrets of Angels" eine ganz eindeutige Kaufempfehlung geben. Ich habe dieses Album bereits häufiger gehört als alle anderen Neuerscheinungen dieses Jahres.
SECRETS OF ANGELS

- Hayley Griffiths / Vocals
- Ian Jones / Bass, Keyboards, Guitars
- Enrico Pinna / Guitars, Vocals
- Cagri Tozluoglu / Keyboards
- Jimmy Pallagrosi / Drums
Unterstützt werden sie auf diesem Album von
- Troy Donockley (Nightwish) / Uilleann Pipes, Whistles
- Seána Davey / Harp
From the Royal Philharmonic Orchestra:
- Rachel van der Tang - Cello
- Clive Howard - Viola
- Lynn Cook - Violin
Die Stilrichtung der Band wird auf ihrer Facebook-Seite als Symphonic Rock, Progressive Rock und Celtic World bezeichnet. Sicher wäre auch der Begriff Neo-Prog zutreffend. Informationen aus erster Hand zur Band bekommt man auf folgenden Seiten:
http://karnataka.org.uk/
https://www.facebook.com/KarnatakaOfficial?_rdr
Im Yes-Forum hat sie einen eigenen Thread:
http://yesforum.phpbb8.de/bands-musiker ... t1009.html
Das Cover:
Passend zum Thema wird ein knieender Engel abgebildet, dessen Flügel brennen. Zu sehen ist übrigens nicht Hayley Griffiths, sondern das Model Jessica Truscott. In einem Song wird das Motiv des Phoenix erwähnt, des Vogels, der verbrennt und aus seiner eigenen Asche aufersteht. Die Parallele ist sicher nicht zufällig. Auf den drei der acht stimmungsvollen Bildern im Booklet tauchen Vögel auf. Der Fotokünstler, der eine leicht verfremdete Krähe im Portrait abgebildet hat, wird sogar in den Credits namentlich erwähnt. Krähen und Raben spielen in der Mythologie genauso eine Rolle wie in Märchen und Sagen. Noah ließ bei der Sintflut einen Raben fliegen, Odin wurde durch einen Raben symbolisiert, es gibt das Märchen von den sieben Raben, König Artus soll nach einigen Quellen in einen Raben verwandelt worden sein.
Wir bewegen uns also auf diesem Album in der Welt der Mystik, was sich in den Texten widerspiegelt. Es geht um Liebe und Tod, Rache und Versöhnung, alte Kulturen und verborgene Welten. Ein Titel lautet Fairytale Lies = Märchenlügen. Vieles ist allegorisch gemeint. Dabei finde ich die Texte gar nicht mal so wesentlich für das Album. Auch für Hörer, die es nicht so mit dem Englischen haben, verliert die Musik nicht an Wert. Der Sound kommt so gewaltig rüber, dass man seine Aufmerksamkeit auf die Instrumente und die Stimme(n) lenken kann, ohne dabei das Gefühl hat, irgendetwas zu versäumen.
Karnataka stand immer schon für Klangfülle. Das war selbst auf den ersten Alben so. Diesem Anspruch sind sie nicht nur treu geblieben, sie haben ihn als Ansporn genommen, den Hörer noch tiefer in ihre Musik eintauchen zu lassen. Das ist ihnen schon auf "The Gathering Light" gelungen, und ich hätte nicht gedacht, dass sie dieses Niveau halten können. Auf "Secrets of Angels" fahren sie zwar nicht ganz so viele Gastmusiker auf wie auf dem Vorgängerwerk, dafür klingen die Tracks durchkomponierter und gewinnen durch die klassischen Arrangement von Cagri Tozluoglu. Die klassisch ausgebildete Sängerin Hayley Griffiths brilliert durch sichere Melodielinien und ihre wunderbar klare Stimme. Mit ihren Vorgängerinnen Rachel Jones und Lisa Fury kann sie es ohne weiteres aufnehmen. Aber mit den Sängerinnen hatte Bandleader Ian Jones ja immer schon eine glückliche Hand. Wir hören außer den analogen Streichinstrumenten synthetische Orchester und Chöre, sowie auf dem Keyboard generierte Instrumente, die ich als Laie nicht sicher benennen kann. Aufgenommen wurde das Album übrigens in Peter Gabriels Realworld Studios in Box und in den Londoner Quadra Recording Studios.
Tracklist:
Road to Cairo (5:27)
Because of You (4:53)
Poison Ivy (4:14)
Forbidden Dreams (5:48)
Borderline (6:19)
Fairytale Lies (4:58)
Feels Like Home (7:06)
Secrets of Angels (20:04)
Road to Cairo:
Es verwundert bei dem Titel nicht, dass der Song mit arabisch anmutenden Klängen beginnt. Textlich bietet er einen Einstieg in die o. g. Thematik.
Mystery unfolds
Road to Cairo calls
Ancient lands that hold
The key to understanding who we are
Das Mysterium wird enthüllt
Die Straße nach Kairo ruft
Uralte Länder halten
den Schlüssel zum Verständnis, wer wir sind
Treibender Bass und auftürmende Keyboardklänge lassen den Fan ahnen: hier kommt wieder etwas Großes. Haley Griffiths singt mit fester Stimme in allen Tonlagen so sicher, dass man sich niemand anderes als Sängerin wünscht. Die Strings tragen zu einem großen Teil an der mystischen Atmosphäre bei. Ein gelungener Opener. [Persönliche Anmerkung: Meine heimliche Befürchtung, das Niveau von "The Gathering Light" würde nicht gehalten werden können, hatten sich schon bei diesem Track verflüchtigt.]
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Because of You
Nach diesem fulminanten Start wird der nächste Song mit Solopiano eingeleitet. Das Lied über eine enttäuschte Liebe, das im zweiten Teil in ein fast aggressiv zu nennendes Gitarrensolo mündet. Nicht mein Lieblingssong auf dem Album, aber wie heißt es so schön: Das Bessere ist der Feind des Guten.
Poison Ivy
Und das (subjektiv) Bessere folgt dann auch mit dem giftigen Efeu. Mit Wucht brechen Naturgewalten über den Hörer herein.
Stormy Winds are howling (stürmische Winde heulen)
Mother Nature rages (Mutter Natur rast)
Tormenting Shadows shiver the Leaves (peinigende Schatten erschauern das Laub)
um nur einige Zeilen zu zitieren. Es geht um eine desaströse Liebe. Die Frau bezeichnet ihren Liebhaber als giftigen Efeu. Die Dramatik in der Musik entsteht durch große Chor- und Orchesterklänge. Beeindruckend!
Forbidden Dreams
Ruhiger und sogar ein bisschen verträumt geht dieser Song los. Karnataka kann alles, nur keine Schnulzen. Drums'n Bass sorgen dafür, dass man nicht ans Einschlafen denkt. Im Gegenteil. Die Sängerin fleht "Release me from theses forbidden dreams". Hier kommt der Harmoniegesang wunderbar zur Geltung.
Borderline
Tiefe Saitentöne und dumpfes Geläut lassen an einen Friedhof denken. Aus diesem Klang erhebt sich Hayleys Stimme wie ein Phoenix aus der Asche. Wieder einmal geht es um eine Liebe, die nicht aufrichtig ist (s. Poison Ivy). Der Lover hat eine Grenze überschritten, die er hätte respektieren müssen.
Silence now, nothing to say
Don't look back, that was yesterday
Save your tears, no regret
The road ahead, a lonely friend
Schweigen, nichts mehr zu sagen
Sieh nicht zurück, das war gestern
Spar dir deine Tränen, kein Bedauern
Die Straße liegt vor dir, ein einsamer Freund
Musikalisch wirkt die Trennung wie ein Befreiungsschlag. Ich fühle mich ein bisschen an Jim Steinman (Meat Loaf, Bonny Tyler) erinnert, nur dass der Groove hier wesentlich schwerer ist.
Fairytale Lies
Ein wirklich lyrischer Song und fast ein bisschen zu schön für dieses eher wuchtige Album. Die Strophen kommen ohne Drums aus und stehen damit in einem herrlichen Kontrast zum Refrain, in dem Hayley Griffiths gleich mehrfache Gesangslinien ziert. Bei diesem und beim nächsten Song fragte Frau Aprilfrost mehrmals nach, ob wir nicht doch gerade ein Musical hören.
Ganz von der Hand zu weisen ist der Eindruck nicht. Vielleicht liegt es am perfekten Arrangement. Jedenfalls ist es nach der Klangfülle der letzten Songs eine Wohltat, sich in diesen Ruhestrom sinken zu lassen wie in einen bequemen Sessel. Der Song endet in einer offenen Piano-Linie, was keineswegs unangenehm wirkt, weil es nach wenigen Sekunden weiter geht mit
Feels Like Home
Die märchenhafte Stimmung wird auch in diesem Song weiter vermittelt. Nur geht es hier hymnischer zu. Das Intro in Form zarter Klavierklänge wird behutsam durch Strings und Flöten verstärkt. Der Gesang wirkt hier völlig entspannt. Nach all den verkorksten Liebesgeschichten, von denen bisher gesungen wurde, kann Hayley nun endlich von der Erfüllung ihrer Sehnsüchte erzählen.
"Gonna love like I never loved before ...
Baby, you're the reason ...
Feels like I've come home for sure"
Ich werde lieben, wie ich nie zuvor geliebt habe ...
Du bist der Grund ...
Es fühlt sich an, als wäre ich endlich zu Hause angekommen
Ich erlaube mir, hier einen Auszug aus einer Review in den Progarchives zu zitieren (eigene Übersetzung): "In einem so feinen Track wie "Feels like home" tritt die Genialität der Einfachheit strahlend hervor, eine seelenvolle, aufrichtige Reflektion von Myriaden kleiner Mosaiksteine, die unsere tägliche Routine ausmachen." Klingt nicht wirklich neu, diese Komposition, aber wohl deshalb so vertraut und beruhigend. Ich mag das.
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Secrets of Angels
Kommen wir nun zum Herzstück des Albums, den Titel-Track. Nie zuvor hat sich Karnataka an einen echten Longtrack gewagt. Wer so etwas macht, muss sich Vergleiche mit den großen Suiten der Rockmusik messen lassen - oder es gar nicht erst versuchen. Karnataka kann sich mit diesem facettenreihen Stück, das in 7 Sätze eingeteilt ist, hören lassen. Um die Rezi nicht ausufern zu lassen, möchte ich hier nicht näher auf den Text eingehen. Das hole ich vielleicht mal nach. Die Überschriften mögen vorerst genügen.
Part 1: The Temptress / Die Verführerin
Keltische Pfeifen vermitteln den Eindruck einer kahlen nordischen Ebene. (Erinnerungen an Scarborough Fair werden geweckt.) Nach genau einer Minute setzt der verführerische Gesang ein, etwas später Trommeln, die einen eigenartigen Druck auf die Musik und den Hörer ausüben. Bei 3:48 Einsatz des Orchesters, dass einem die Ohren wegfliegen, um bei 4:15 in einen wiegenden, schwingenden Rhythmus überzugehen. Wir befinden uns in
Part 2: Crimson Tears / Blutrote Tränen
Der Gesang schwebt über himmlischen Chören, die glücklicherweise nur soweit hörbar sind, dass sie die Lead-Stimme tragen, aber nicht verwischen. Schon ab 5:30 wird der Gesang abgelöst durch ein powervolles Gitarrensolo und bereits bei 5:57 verklingt diese musikalische Schlacht wie in eine akustischen Dunkelheit. Einzig eine Harfe spielt verloren ihre Weise und symbolisiert passend
Part 3: Last Dawn / Letzte Dämmerung
Aufgenommen wird die musikalische Linie von einem glockenreinen "Aahaahaah". Verweile doch, du bist so schön! Aber keine Chance, denn bei 7:17 beginnt
Part 4: The Battle / Die Schlacht
Heftige orchestrale Sounds werden aufs Schlachtfeld geworfen. Martialisch. Wir kennen das von Bands wie Nightwish oder Apocalyptica oder auch vom Herrn der Ringe Soundtrack. So plötzlich wie sie begonnen hat, ist die Schlacht bei 8:52 auch schon wieder vorbei. Dieselbe Stimme, die eben noch ohne Text phrasierte singt nun ein
Part 5: Requiem for Life / Requiem für das Leben
Das klingt traurig und tröstlich zugleich - wie es bei einem Requiem ja auch sein soll. Fast a capella, nur das Cello schwingt auf der tiefen Saite mit.
Part 6: In the Name of God / Im Namen Gottes
Sound und Rhythmus dieses Teils (ab 9:49) scheinen mir ein bisschen an meinem bisherigen Lieblingssong der Band, "Forsaken" (von The Gathering Light) angelehnt. Hier strahlt alles in den hellsten Klangfarben. Die Band bildet eine Einheit, niemand spielt sich in den Vordergrund. Alle Instrumente sind präsent und geben - alles.
Part 7: Secrets of Angels / Die Geheimnisse der Engel
Sieben Minuten dauert das Finale. Es erinnert mich an das (kürzere) Ende von Supper's Ready. Sieben Minuten hymnisches Gepränge - kann das gut gehen? Karnataka schafft es tatsächlich, dabei nicht zu langweilen, dank des differenzierten Einsatzes der Instrumente. Insbesondere die gälische Flöte und die E-Gitarre kommen hier wunderbar zur Geltung. Solostimme und Chor ergänzen sich perfekt, und alle zusammen bringen dieses außergewöhnliche Werk zu einem einwandfreien Ende.
Zum Schluss noch einmal ein Zitat zu diesem Longtrack aus den Progarchives, dem ich nichts hinzu zu fügen habe:
"Mit Bedacht wurde der gewaltige Titeltrack an des Ende des Albums gesetzt, ein majestätisches und grandioses Finale, das einen enormen Eindruck von Zufriedenheit hinterlässt. Brillant aufgebaut mit wiederkehrenden Keltischen Themen (unter der Leitung von Troy Donockley), gewürzt mit feinen Pfeifen, Flöten, Harfen und Saiteninstrumenten, und verziert mit einer kolossalen Orchestrierung, gigantischen Choreffekten und der opernhaften Stimme von Hayley, deren Stimme ein Spektrum aufweist, dass sich dir die Härchen im Nacken aufrichten. Es ist alles dabei: Stimmen, eine verwegene Mischung von musikalischen Experten, summende, schleppende Bässe, tektonische Drum-Erschütterungen, schimmernde Gitarrenphrasen und überbordende Keyboardfarben, die einen atemlos und höchstzufrieden entlassen. Dies ist schlicht eines der feinsten epischen Stücke, die uns im Jahr 2015 erfreuen werden".
Hatte ich beim Album des Monats April (Todmobile) durchblicken lassen, dass man als Progfan davon enttäuscht werden könnte, so kann ich bei "Secrets of Angels" eine ganz eindeutige Kaufempfehlung geben. Ich habe dieses Album bereits häufiger gehört als alle anderen Neuerscheinungen dieses Jahres.