Melanie Daydreamer hat geschrieben:Na, jedenfalls ist es wohl so, dass eine Band heutzutage in der Regel einen festen Betrag pro Auftritt bekommt, egal wie viele ( oder wenige ) Besucher kommen. Dementsprechend ist es den Musikern meistens ziemlich egal, wie hoch die Eintrittspreise vom Veranstalter angesetzt werden. Das Risiko eines Verlustes oder eventuell hohen Gewinnes auf den Schultern der zahlenden Konzertbesucher trägt eben dieser Veranstalter.
Und genau das finde ich so schade, denn ich wäre schon gerne öfters zu einem Konzert gegangen, konnte es mir aber aufgrund sehr hoher Eintrittspreise nicht leisten. Und wenn ich dann im Nachhinein erfahre, dass sich der Veranstalter einfach nur ganz schnell eine goldene Nase verdienen wollte, er sich aber verkalkulierte und deshalb viele Leute nicht hingehen konnten, obwohl sie es so gerne getan hätten, und die Musiker deshalb vor halbleeren Hallen spielen mussten, dann finde ich das eben für alle sehr schade.
Das hat nun wirklich nichts mit "Linksopportunismus" zu tun und ich finde den Begriff nicht angebracht.
Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn Musiker abgesichert sind. Wenn du aber schreibst, dass dies Voraussetzung für Kreativität ist, dann möchte ich in diesem Punkt schon ein bißchen widersprechen. Viele Bands ( nicht alle ) waren ja gerade in ihrer Anfangszeit mit am kreativsten und musikalisch am wagemutigsten, obwohl der große Durchbruch und die damit verbundene finanzielle Sicherheit noch nicht gänzlich erreicht waren. Das ist jedenfalls ab und zu mein Eindruck.
Zunächst einmal sind wir uns sicher einig, dass Musik machen (erschaffen und spielen) nichts mit Sendungsbewusstsein, sondern mit Lebensunterhalt verdienen zu tun hat - der Künstler hat Glück und kann seine Neigung zum Beruf machen.
In Ermangelung einer Festanstellung ist der Künstler dann selbständig und somit auch unternehmerisch tätig und lebt vom Ertrag seiner Unternehmung. Wenn man Risiken nicht selbst gut tragen kann und eine Möglichkeit findet, einen geringeren Betrag aber dafür sicher zu erhalten, als man maximal kriegen kann, wenn alles optimal läuft, so ist das eine Art Forderungsmanagement, das sich gerade für Dienstleister, und als solche sind Künstler ja in gewisser Weise anzusehen, über alle Branchen hinweg immer mehr durchsetzt. Diejenigen, die die Forderungen kaufen und damit das Risiko von Zahlungsausfall tragen sind auch wieder Dienstleister. Etwas übergeordnet könnte man, damit die von Dir geschilderten Veranstalter darunter passen, solche Unternehmungen als Risikomanagement bezeichnen.
Wenn mit solchem Risikomanagement nichts zu verdienen wäre, würde die Dienstleistung keiner anbieten, und die Künstler müssten ihre Risiken wieder selbst tragen. Im Ergebnis gäbe es sicher viel weniger Konzerte, als es eben aktuell gibt.
Der Veranstalter kalkuliert, bevor er sich auf einen Deal mit einem Künstler einlässt, mit welcher Wahrscheinlichkeit er nach einem Konzert / einer Tour mehr Geld hat als vorher und entscheidet nach seinen persönlichen Maßgaben. Ein Konzert bringt mal einen Riesengewinn und ein anderes einen Verlust. So lange der Veranstalter unterm Strich mit ausreichendem Gewinn nach Hause geht, kann er davon leben. Wie jedes andere Unternehmen kann er es sich nicht leisten mit allen seinen "Produkten" Verlust zu machen. Von den zahlreichen "kleinen Veranstaltern" verdient sich heut zu Tage keiner mehr eine goldene Nase. Ein Bekannter von mir verdient damit seinen Lebensunterhalt. Auf 10 miese Aktionen - an die er trotzdem glaubte - kommt eine, die alle 11 Events plus seinen Gewinn finanzieren muss. Der Lebensmittelhändler verkauft auch manches letztlich unter Preis oder muss es wegwerfen und muss sich von den Verkäufen ernähren, die eben Gewinn abwerfen.
Was ist dabei verwerflich, nur weil jemand nicht im Lebensmittelgeschäft Nagelfeilen für 8 Euro verkauft, sondern für ein XY-Konzert 80 Euro pro Ticket verlangt.
Es ist auch inzwischen nicht mehr so einfach, irgend wie einen Ticket-Preis festzulegen. Es gibt ja Wettbewerb (unter den Bands, die ein Veranstalter betreut) und darüber hinaus das so genannte "Pricing". Letztere ist die Wissenschaft, einen Preis so festzulegen, dass man einen optimalen Ertrag erzielt. Verlangt einer 50 Euro pro Ticket und es kommen 2000 Leute, dann nimmt er 100.000 Euro ein. Kommen nur 1000 Leute, dann sind's halt nur 50.000 Euro. Die Kosten bleiben dabei in der Regel im Wesentlichen konstant. Verlangt der Veranstalter 100 Euro pro Ticket, dann reichen ihm schon 1000 zahlende Besucher, um die 100.000 Euro einzunehmen. Er könnte also noch 1000 Karten verschenken, ohne Einbußen zu haben. Die Statistik beim Pricing sagt, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit bei höherem Preis nicht in gleicher Weise besteht, wie bei einem geringeren Preis. Das Risiko von geringeren Verkaufszahlen beträgt nicht 50 %. Andererseits gibt es beim Preis eine Grenze, deren Überschreiten zum absoluten Einbruch der Verkaufszahlen führt; sagen wir mal 200 Euro pro Ticket. Zwar müssten dann für die 100.000 Euro Einnahmen nur mehr 500 Tickets verkauft werden, aber die Wahrscheinlichkeit dafür geht gegen Null. Nun muss man also in diesem Bereich das Maximum an Ertrag bei geringstem Risiko ermitteln. So funktioniert bei Selbständigen "Lebensunterhalt Verdienen".
Und dann, die "Anfangszeit" und die "Kreativität". Tja, wenn's noch nicht aufgefallen ist, 1970 oder so ähnlich ist halt jetzt nicht mehr. Über die Dörfer zu tingeln und vom "groß Rauskommen" zu träumen gilt schon lange nicht mehr als Erfolg versprechend. Die Szene - um den Begriff "Das Business" zu vermeiden - funktioniert inzwischen anders. Schon beim Punk, der ja noch auch eine gesellschaftskritische Strömung widerspiegelte, kamen nicht die "guten Produzenten" und schalteten auf Durchhaltetaktik, um erfolglose Bands / Künstler über Jahre hinweg durchzubringen, nur weil sie an die Bands / Künstler glaubten. Man hat in 10 Bands / Künstler investiert und ist davon ausgegangen, dass ein Treffer mehr einspielt, als man für alle ausgegeben hat. Und inzwischen ist es soweit, dass wir keine Musikszene mehr haben, sondern wirklich nur noch ein Musik-Business. Und die Top-Macher darin sind viele der ehemals aufstrebenden und geförderten Hoffnungsträger der End-60er etc. Viele "unserer Stars" sind heute Produzenten, Texter, Komponisten, Tonstudiobetreiber und, ja, sogar Veranstalter und verdienen trotz Tantiemen aus ihrer eigenen Künstlertätigkeit damit ein Vielfaches.
Der Wandel von der "Szene" zum "Business" hat das Leben der Künstler in ihrer "Anfangszeit" härter gemacht und die "Kreativität" leidet darunter. Echte Unabhängigkeit kann sich heute kaum noch ein Künstler am Beginn seiner Laufbahn leisten, wenn er von seiner Zunft leben will (gilt sicher nicht nur in der Musik). Sonst ist er schneller verbraucht als er tolle Leistungen bringen kann, weil ihn die Ackerei aufreibt. Nur wer schon erfolgreich und etabliert ist, kann sich noch die so gepriesene "künstlerische Freiheit" leisten. Aber, Erfolg ist eben "auch) Business ... mitsamt den Veranstaltern.
Ohne die (bösen) Veranstalter gäbe es heutzutage noch weniger Konzerte, weil ja einzelne Künstler nur ein Mischkalkulation innerhalb ihrer eigenen Auftritte hinkriegen. Dann gibt es halt wieder nur noch an wenigen Top-Standorten - publikumsabhängig, also wo beim letzten Mal zu wenig waren, tritt man lieber nicht mehr auf, was eine gegen Null gehende Funktion ist - und von denen, die gut im Geschäft sind, Konzerte und Tourneen. Und zahllose Newcomer tingeln wieder durch Dorfkneipen ohne Chance auf ein "groß Rauskommen" oder überhaupt ein "davon leben Können", dafür sind sie aber - bis sie verhungert sind - Mords kreativ (gewesen).
Ich sag mal, Kritik am System sollte realisierbare Alternativen aufzeigen. Ohne letztere erscheint mir Kritik relativ sinnlos.
Damit ist auch sicher nicht Alles gesagt, was es zum Thema gibt. Auch habe ich eher eine provokante Stellung bezogen, als wischi-waschi zu bleiben.