(Art-)Rock aus dem Osten Deutschlands

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JJG
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(Art-)Rock aus dem Osten Deutschlands

Beitrag von JJG »

In den 70ern war ja die Hoch-Zeit des anspruchsvollen Rocks in Deutschland. Viele Künstler brauchten sich nicht
hinter den Musikern Englands und Amerikas zu verstecken. Im Westen gab es den sogenannten Krautrock mit
etlichen Bands, die dem Art-Rock eine eigen Spielweise entlockten. Im Osten war es ähnlich.

Wenn Bands auftreten wollten mussten sie im Osten einen sogenannten Berufsausweis besitzen. Diesen konnte
man nicht einfach erwerben, man musste eine musikalische Ausbildung nachweisen. Für Berufsmusiker gab es nur
die Möglichkeit über ein Studium an den Musikhochschulen. Dort musste man etliche Seminare durchlaufen/belegen.

Überwiegend waren diese klassisch orientiert und oftmal wurde auch vorgegeben, welches Instrument erlernt werden musste.
Für viele eine Qual, weil man oft ein ungeliebtes Instrument studieren musste, andererseits hat man sich gute Grundlagen
erarbeitet, die den Künstlern dann halfen.

Ein begabter Musiker ist Thomas Kurzhals, der zwar international unbekannt ist, sich mit seinen kompositorischen und handwerklichen Fähigkeiten
mit Keith Emerson und Rick Wakeman messen kann. In seiner Zeit bei der Stern Combo Meißen hat er für seine Band etliche klassische
Stücke adaptiert. Hier mögen nur Sibelius' "Finlandia", Mussorgskys "Eine Nacht auf kahlen Berge" oder auch "Der Frühling" von Vivaldi genannt
sein.

Im Osten war man in den 70ern aber als Band nur was, wenn man englischsprachige Bands originalgetreu nachspielen konnte.
Nicht einfach nur so, sondern mit allen Geräuschen und sogar allen "Fehlern", die dem musikalischen Laien garnicht auffallen.

Die Stern-Combo spielte mit Vorliebe ELP, so konnten die Fans "Tarkus", "Lucky Man" oder auch "Jerusalem" in den Konzerten hören.
Da es für die Songs keine Partituren gab, behalf man sich anders. Die Stücke wurden auf ein polnisches Tonband aufgenommen.
Dieses hatte zwei Geschwindigkeiten, also konnte man die Stücke dann mit dem halben Tempo hören und dann Note für Note aufs Blatt schreiben.
Thomas Kurzhals: "Das war erstens sehr mühselig, zweites hat man gemerkt, welchen Müll auch diese, von uns hochgeschätzten Bands
auf Platte veröffentlichten, also Fehler auf die man normalerweise nicht achtet. manchmal hat Emerson völlig in die Gurken gefasst, es kam zu sogenanten Prallern
die passieren, wenn man von der schwarzen auf eine weiße Taste runterrutscht. Ja die haben das nicht so genau genommen."

Das besondere an der SCM war der Einsatz von zwei Keyboardern, auf einen Gitarristen wurde verzichtet.

Interessante Werke der Stern-Combo aus Meißen sind:

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Handwerklich einwandfreie Scheiben, Abstriche muss man bei der Produktion machen. Viele Songs haben den
typische Naleppa-Sound, der nach der Straße (Naleppa-Straße in Berlin) wo sich das Tonstudio/ die Produktion
von Amiga befand, benkannt ist. Eine handvoll Produzenten haben dort alles abgemischt, von Schlager bis Rock und das merkt man.

Nach der Wende abgemischte Scheiben haben eine deutlich bessere Tonqualität/Produktion.

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"We are truth made in heaven, we are glorious" (Anderson/Stolt 2016)

Saaldorf
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SOON
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Re: (Art-)Rock aus dem Osten Deutschlands

Beitrag von SOON »

toller Artikel mit interessanten Hintergrundinformationen.
Die Weisses Gold gefällt mir auch sehr gut.
Weitere tolle Artrockbands aus Deutschland Ost, die ich kenne, sind Panta Rhei , Lift , Bayon, Electra und Klaus Renft Combo.
Es zeigt sich auch hier, dass es rund um den Globus nur so von guter Musik wimmelt.
MAKE PROG NOT WAR ! ---> ---> My 2023 Album Faves

Member X
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Re: (Art-)Rock aus dem Osten Deutschlands

Beitrag von Member X »

Danke für den sehr informativen und anregenden Beitrag :D

Thomas Kurzhals

weitere Infos:

http://www.overlight-tonstudio.de/

http://deutschland-im-internet.de/Erkner/karat.html

Bei youtube gibt es auch noch einiges an Material, das ich aber noch nicht durchgehört habe - also ist noch was zu tun 8-)

ingo
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Re: (Art-)Rock aus dem Osten Deutschlands

Beitrag von ingo »

Ich möchte Jans Zeilen noch um meine Erlebnisse mit der Stern-Combo Meißen ergänzen.
Es muss so vor vierzig Jahren gewesen sein, als ich SCM zum erstenmal hörte. Da waren sie bereits schon eine ganz große Nummer, aber als Cover-Band. Sie spielten bei uns auf dem Schulfest. Wir hatten da einen Lehrer, der sich da stark bemüht hat, für diese Feste gute Gruppen zu engagieren.
Zur Band gehörten damals auch Veronika Fischer und ein Bläsersatz. Viel ist mir da nicht an Erinnerung geblieben. Aber einen Titel habe ich nicht vergessen „In A Gadda Da Vida“ von Iron Butterfly. War das nicht ein Hammerstück; so zwanzig Minuten mit einem Schlagzeugsolo.
Kurz danach trennte sich SCM von dem Bläsersatz. Für die Fans war das fast der Untergang des Abendlandes.
Das nächste mal habe ich SCM 1975 zusammen mit den Klosterbrüdern gehört. Auf dieser Tour wurde eine Quadrophonie-Anlage eingesetzt.
Dann kam noch ein Konzert in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre in Meißen mit der keybordlastigen Besetzung und dann noch ein Konzert in den achtzigern in Gera da allerdings schon etwas abgewandt vom Artrock.
Unbedingt erwähnen muß ich noch, das ich mit einem der Bassgitarristen (Peter Rasym) von SCM an eine Schule gegangen bin. Einen Teil seines Weges findet man auf dieser Seite
http://www.beenbee.de/einblicke/einblic ... php?page=1
Ich bin natürlich ein Bitterfelder.

Und hier noch der Link zur SCM-Homepage

http://www.stern-combo-meissen.de/
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JJG
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Re: (Art-)Rock aus dem Osten Deutschlands

Beitrag von JJG »

Einen Konzertbesuch in Ronneburg, der Geburtsstadt von Thomas Kurzhals (ca. 1996) habe ich im Empire-Magazin veröffentlicht. Ich muss den mal raussuchen.
Zum Stadtjubiläum Schleiz, der Geburtsstadt Böttgers http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Fri ... C3%B6ttger hat die SCM ihr Werk "Weißes Gold" aufgeführt, war wirklich sehr gut.
"We are truth made in heaven, we are glorious" (Anderson/Stolt 2016)

Saaldorf
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