Zum Tode Elizabeth Taylors
Die Halbgöttliche
Von Patricia Dreyer
Ihre vielen Affären, ihr Sex-Appeal - als Schauspielerin brillierte Elizabeth Taylor nur selten. Und doch war sie einer der schillerndsten Stars, die Hollywood je hatte. Abschied von einer Frau, deren Herz noch größer war als ihr Ruhm.
Wie hungrige Hunde lungerten die Paparazzi vor Elizabeth Taylors Villa außerhalb Roms. Besucher mussten sich zur Eingangstür durchschlagen, der Fettucine-Lieferant wurde von den Fotografen bedrängt, der Postbote, die Zugehfrau. Über Wochen hielt der Belagerungszustand an, bis Elizabeth Taylor, knappe dreißig Jahre alt und als "schönste Frau der Welt" geadelt, es satt hatte. "Die wollen Bilder? Dann kriegen sie jetzt welche!"
Sie zog sich ihren Leopardenfellmantel an, schlüpfte in passende Pumps und verließ mit ihrem Geliebten die Festung - mitten ins Zentrum Roms fuhr das Paar, verfolgt von den Paparazzi auf ihren Vespas. Die drückten, auf der Via Veneto angekommen, verzückt auf ihre Auslöser. Endlich! Die ersten Motive von Elizabeth Taylor mit ihrem neuen Lover, Richard Burton! Endlich der Beleg dafür, dass die berühmteste Frau der Welt eine Affäre mit ihrem Filmpartner hatte.
In puncto Schmalz und Bombast wetteiferte das Privatleben der Taylor zu jenem Zeitpunkt, im Februar 1962, längst mit ihrem Kinoprojekt "Cleopatra", das damals in Roms Cinecittà entstand. Das Breitleinwand-Epos war der bis dato teuerste Film überhaupt. Die horrenden Kosten - allein Taylor hatte die Rekordgage von einer Million Dollar ausgehandelt - und chaotische Dreharbeiten, die sich nicht zuletzt dank der kapriziösen Hauptdarstellerin immer wieder verzögerten, bescherten dem Studio 20th Century Fox um ein Haar seinen Untergang.
Taylor und Burtons Ausflug zur Via Veneto im Februar 1962 war Auftakt einer amour fou, die sich jahrzehntelang segensreich auf die Einkommensbilanz von Klatschreportern, Filmproduzenten und Juwelieren auswirken sollte. "Dick and Liz" wurden zu einem der notorischsten Liebespaare des 20. Jahrhunderts.
Für die Generation Facebook ist Liz Taylors Status als Super-VIP der fünfziger und sechziger Jahre nur noch schwer nachvollziehbar. Ihr Privatleben - das kaum jemals privat war - und ihre Karriere waren ein mit voyeuristischer Wollust verfolgter und auch von ihr selbst dirigierter Riesenzirkus, gegen den sich das Tamtam um Angelina Jolie wie ein Meditationsseminar im Klostergarten ausnimmt.
Elizabeth Taylor war nicht mehr und nicht weniger als ein Filmstar - ein heute angestaubter Begriff aus der Zeit vor der gesellschaftlichen Zäsur der 68er Jahre. Der Verlauf ihrer Karriere, die Banalität fast all ihrer Rollen, die Instrumentalisierung ihres Privatlebens, das immer auch als Multiplikator ihrer Starpower zu dienen hatte, weisen sie als Geschöpf des klassischen Hollywood mit seinem diktatorischen Studiosystem aus.
Als Neunjährige wurde die 1932 geborene Elizabeth Taylor von ihrer überehrgeizigen Mutter ins Showgeschäft bugsiert. Wie so viele Töchter verhinderter Schauspielerinnen - Jean Harlow, Judy Garland, Linda Darnell - hatte auch sie die nie realisierten Karriereträume ihrer Mutter zu kompensieren.
Die kleine Liz erhielt einen Vertrag bei Metro-Goldwyn-Mayer (MGM). Kein Studio hatte damals mehr Stars, Filme wurden unter gleichsam industriellen Bedingungen am Fließband produziert. "Ich hatte die zweitmieseste Kindheit der Welt", pflegte Taylor in ihren späten Jahren zu sagen. Schlechter sei es nur ihrem Kumpel Michael Jackson ergangen.
Zunächst spielte sie in Lassie-, und Pferdefilmen; als sie im Teenageralter diesem Genre langsam entwuchs, wusste man bei MGM zunächst nichts mit ihr anzufangen. Nur eines war offensichtlich: Die aparte Elizabeth hatte Potential.
Die krisengeschüttelte Branche - das Kino verlor nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen seiner Konsumenten an das Fernsehen - suchte verzweifelt neue Stars, für deren Charisma die große Leinwand der einzig passende Rahmen war. Wer bot sich an? "Elizabeth Taylor", so die Antwort des Magazins "Time", das dem jungen Starlet 1949 eine Titelgeschichte widmete.
Ihre erste aufsehenerregende Hauptrolle erhielt Taylor mit 17. MGM hatte sie an das Paramount-Studio ausgeliehen, wo sie mit Regisseur George Stevens "A Place in the Sun" drehte, noch heute ein Kultfilm in den USA. Ihr Partner war der Method Actor Montgomery Clift.
Taylor war verblüfft: ein Kollege, der Schauspielerei tatsächlich ernst nahm! "Ich dachte, 'Moment mal, was macht der da?'", beschrieb sie später ihre Eindrücke. "Ich habe gemerkt, dass dieser Job mehr sein kann, als nachts deine Texte zu lernen und am nächsten Tag im Studio die richtige Kamera-Markierung zu finden. Wenn Monty spielte, dann kam es vor, dass er vor Emotion zitterte, von Kopf bis Fuß."
Derartigen Einsatz verlangte MGM von Taylor nicht, dort besetzte man sie weiterhin in harmlosen Filmen wie der Spencer-Tracy-Komödie "Vater der Braut", die noch vor "A Place in the Sun" in die Kinos kam.
Das Studio diktierte nicht nur, was die Stars zu spielen hatten, es übte auch die Kontrolle über deren Privatleben aus. Um "Vater der Braut" an den Kinokassen zu pushen, beschloss die Publicity-Abteilung, sein Starlet im wahren Leben zu verheiraten. Also ging Elizabeth Taylor, 18 Jahre alt und nur marginal verknallt, auf Drängen der Agenten ihre erste Ehe ein, mit dem millionenschweren Erben des Hilton-Hotelimperiums, Nicky Hilton. Unter den Gästen: eine Batterie von MGM-Stars.
Doch Hilton war gewalttätig, verprügelte Taylor mehrfach. Nach einem halben Jahr ergriff sie die Flucht. Wenig später heiratete sie zum zweiten Mal, und zwar ihren britischen Kollegen Michael Wilding, der daraufhin ebenfalls bei MGM unter Vertrag genommen wurde. Das Paar bekam zwei Kinder - dann ließ sich Taylor nach insgesamt vier Ehejahren erneut scheiden. Sie schlief mit anderen Männern, und ihr Gatte, so tratschte man in Hollywood, tat es auch.
MGM war alarmiert. Wie sollte man diese eigensinnige junge Frau im Zaum halten, wie ließ sich ihr Lebenshunger mit der hysterischen Prüderie der Zeit vereinbaren?
Man erfand die Taylor neu - als Sexsymbol.
Das Studio wies ihr die Funktion zu, auf die sie fast ausschließlich festgelegt bleiben sollte. Mit kirschroten Lippen, ausgestellter Oberweite und straff eingefasster Taille - die berühmte "Sanduhr-Figur" - fungierte Taylor in Filmen wie "Katze auf dem heißen Blechdach" fortan als toughe Sexbombe, als Sirene im Spitzenhemdchen.
Diese ostentative Erotik der Taylor passte nicht zu Filmemachern, deren Augenmerk auf einem geschlossenen visuellen Gesamtkonzept lag, in das ein Star sich zu fügen hatte (John Ford, Alfred Hitchcock, Fred Zinnemann). Noch zu jenen, die das Zusammenspiel des Ensembles reizte (Billy Wilder, Howard Hawks, William Wyler). Wohl deshalb arbeitete sie, bis auf wenige Ausnahmen, nie mit Regisseuren dieses Kalibers. Ein Film mit Elizabeth Taylor war vor allem: ein Elizabeth-Taylor-Film.
Damit untermauerte Taylor ihre unerhörten Gagenforderungen und ihren Status als Königin der Klatschspalten: Das Publikum wollte "die Taylor" sehen, oder eben "Liz and Dick", die beiden standen nach "Cleopatra" noch zehn Mal gemeinsam vor der Kamera.
Ingrid Bergman hatte man 1950 wegen ihrer Affäre mit einem verheirateten Mann in Hollywood noch vom Hof gejagt. Zehn Jahre später überlebte Taylor eine ähnliche Hexenjagd nicht nur - sie spielte furchtlos eine Prostituierte in "Butterfield 8" und wurde prompt mit ihrem ersten Oscar belohnt.
Taylors Lebensstil musste auf das Publikum der Fünfziger und Sechziger wie purer Hedonismus wirken: ihre exzessiven Shoppingtouren, ihre Lust auf Juwelen, ihre Privatyacht. Die Burtons waren nicht nur ein berühmtes Ehepaar, sondern "zwei Star-Konsumenten", schreibt der Taylor-Biograf Alexander Walker.
Elizabeth Taylor liebte es, gut und opulent zu essen ("Ich mag alles, was fett macht") - wo immer sie sich auf dem Erdball befand, mussten ihre Leibspeisen eingeflogen werden: In Rom ließ sie sich Truthahn aus Kalifornien liefern, in Moskau orderte sie Austern aus Frankreich.
Autor William A. Mann beschreibt, wie eine 24-jährige Taylor, damals Hollywoods ätherisches Tausendschönchen, nach einer Party mit Rock Hudson und seiner Clique zu viele Nachos mit Käse konsumierte und Tequila soff. Der barocke Frohsinn gipfelte in einem Rülps- und Furzwettbewerb, den Taylor für sich entschieden haben soll.
Ihre engsten Freunde schätzten an Taylor vor allem deren unbedingte, kämpferische Solidarität. Kein Biograf verzichtet auf die Schilderung des Autounfalls, den ihr bester Kumpel Montgomery Clift nach einer ihrer Partys hatte. Taylor rannte zum Fahrzeug, in dem Clift, eingeklemmt hinter dem Steuer, zu ersticken drohte, kroch in den Wagen und rettete ihrem Freund das Leben, indem sie mit den Fingern Clifts ausgeschlagene Zähne aus seinem Rachen klaubte.
Und, natürlich - Elizabeth Taylor liebte Sex. Eine Affäre mit ihr, seufzte der Schauspieler Robert Wagner, reduziere einen Mann komplett auf seine animalischen Instinkte, "als würde dein Gehirn in einen Küchenmixer geworfen". "Brave amerikanische Hausfrauen fielen in Ohnmacht", wenn sie über Taylors muntere Kapriolen in der Zeitung lasen, schreibt Biograf William A. Mann - und geht sogar so weit, Taylors allerorts plakatierte Sinnlichkeit für die sexuelle Revolution mitverantwortlich zu machen.
Ohne Brüche ging dieses exzessive Leben nicht ab. Die Liebe zu Burton etwa hatte von Anfang an ätzende, zerstörerische Züge. Taylor, die sich in Krisen oft in Krankheiten flüchtete, nahm Schlaftabletten, als Burton die Beziehung 1962 während der "Cleopatra"-Dreharbeiten beenden wollte.
Es ist bezeichnend, dass dieses Drama, das als Tragödie hätte enden können, heute als Anekdote über eine eigenwillige Frau erzählt wird: Regisseur Joseph L. Mankiewicz wurde zu Taylor ins Krankenhaus gerufen. "Wie viele Pillen hat sie denn geschluckt?" "Vierzehn." "Dann wird sie wieder!", entgegnete Mankiewicz trocken. "Wenn sie die Dinger abgezählt hat, ist es halb so wild."
Am Ende blieben "Dick and Liz" länger als ein Jahrzehnt aneinandergekettet, in Liebe, Suff, Eifersucht und Sehnsucht. "Du weißt, wie sehr ich dich liebe", schrieb Burton ihr, als ihm die Gattin wieder einmal abhanden gekommen war. "Du weißt auch, wie schlecht ich dich behandele. Es bleibt eine unumstößliche, gemeine, perverse, mörderische und unabänderliche Tatsache, dass wir uns komplett missverstehen. Wir operieren auf unterschiedlichen Wellenlängen… Komm zurück, so bald du kannst." Dicks Briefe an Liz, die 2010 veröffentlicht wurden, belegen, dass es Taylor war, die sich am Ende aus der Co-Abhängigkeit von Burton befreite.
Ein Filmstar war Elizabeth Taylor seit Ende der Siebziger nicht mehr. Rückblickend ist es verwunderlich, wie wenig experimentierfreudig, fast lustlos sie sich auch dann noch ihre Projekte aussuchte, als sie endlich aus der MGM-Knechtschaft befreit war. Unter ihren 70 Filmrollen sind nur wenige, die als zeitlos gelten können, vor allem natürlich ihr wilder, oscarprämierter Ritt in "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" ("I am loud, I am vulgar, and I am wearing the pants in the household, because somebody's got to - but I am not a monster. I'm not!").
Spätestens nach ihrer zweiten Scheidung von Burton schien Elizabeth Taylor vollends das Interesse am Filmgeschäft zu verlieren, und natürlich: Gute Rollen für Frauen jenseits der 40 waren damals so selten wie heute. Als Verführerin wollte man die rundlich Gewordene nicht mehr sehen: "Elizabeth legt zu lange Wege in zu kurzen Röcken zurück", urteilte der SPIEGEL 1974 in einer Filmkritik. "Von der schönsten Frau der Welt darf man auch kopfabwärts noch Architektur erwarten."
Sich zurückzuziehen, wie es eine Garbo oder eine Dietrich getan hatten, war Taylors Sache jedoch nicht. Sie widmete sich erfolgreich dem Kampf gegen ihre Alkohol-, und Tablettensucht, wurde zur Menschenrechtsaktivistin in Sachen Aids und vermarktete - chirurgisch runderneuert - Schmuck und Parfum, was ihr ein Vermögen bescherte.
In den Neunzigern wurde ihr Auftreten exzentrischer, bisweilen bizarr. Sie pflegte innige Freundschaften mit ehemaligen Kinderstars wie Michael Jackson oder Macaulay Culkin und meldete sich laut im Fernsehen zurück, wenn wieder einmal behauptet wurde, sie habe Alzheimer und stehe an der Schwelle des Todes. Noch im Alter von 74 Jahren ließ sie sich deshalb beim Tauchgang fotografieren - sie schnorchelte im Atlantik, bei einer Hai-Safari.
Unter all den großen weiblichen Filmstars, die Hollywood produzierte, war Elizabeth Taylor keineswegs überragend: Katherine Hepburn hatte mehr Stil, Bette Davis mehr Mut zum Risiko, Audrey Hepburn und Grace Kelly besaßen zeitlose Noblesse.
Worin Taylors Triumph liegt, wird deutlicher, wenn man sie mit Judy Garland, Jean Harlow oder Marilyn Monroe vergleicht. Während diese Frauen, allesamt Ikonen der Popkultur, am Showbusiness, an der Unvereinbarkeit von vordiktierten Karriereentwürfen und eigener Verletzlichkeit jämmerlich zugrunde gingen, wehrte sich Taylor gerissen und erfolgreich gegen eine solche Vereinnahmung.
Sie überlebte Hollywood. Und, noch besser: Sie hatte ihren Spaß dabei.