Ja, vor 20 Jahren hat die Presse Bowie schon totgeschrieben, als lebende Legende, die mit weiteren Veröffentlichungen nur noch das eigene Vermächtnis und Ansehen schmälern würde. Was für Vollpfosten

!
Klar, jemand, der den Wechsel der Stilrichtungen regelrecht zu seinem Programm gemacht hat
(Heinz Rudolf Kunze hat das in seiner Radio-Sendung "Der Favorit - David Bowie" einmal sehr schön
heraus gearbeitet), wirklich kreativ abzuschreiben, ist immer gefährlich, und manchmal eher einer
spontanen Enttäuschung geschuldet, als einer klugen Überlegung. Aber ich weiß nicht, Eric, ob man
da gleich so in die "Vollen" gehen muß; denn genauso habe ich auch damals auch gedacht. Und -
aus damaliger Sicht (auch wenn Du mit David's Oeuvre der 70er weniger anfangen kannst) - ist
diese Sichtweise für mich immer noch nachvollziehbar; auch wenn David's 70er alles andere als ein
linearer Schaffensprozess war. Für Menschen wie mich war es einfach zum Verzweifeln, dass nun
auch wirklich jeder, den wir mal geliebt haben, in Richtung Radiotauglichkeit ging. Das interpretierten
wir schon als Verrat, und an Anbiederung an den Kommerz.
Nun lässt sich der Begriff "die 70er" ja schön plakativ verwenden, aber es bestehen schon riesige
Unterschiede zwischen teils sehr naheliegenden Alben, wie etwa "Young Americans" (sagt mir nicht
wirklich zu) "Station To Station" und "Low" - beide sehr unterschiedlich, beide von mir sehr
wertgeschätzt. Selbst "Lodger" und "Scary Monsters" fallen m.E. gegenüber "Low" und "Heroes"
leicht ab - gute Alben, aber nicht so der ganz geniale Wurf.Ohne weiteres wird man aber sagen
müssen, dass "Let's Dance" dann schon ein arger Unterschied zu allem Vorherigen war. Alben wie
"Space Oddity" oder "The Man Who Sold The World" liebe ich sehr; warum "Honky Dury" und
"Ziggy Stardust" um so vieles besser sein sollten, wie viele Kritiker meinen; erschließt sich mir nicht.
Es hat halt ein jeder seinen persönlichen Gusto.
Heutzutage, und will's der Teufel - gerade jetzt - beginne ich Davids 80er neu zu entdecken,
zum Beispiel "Black Tie, White Noise" (jedenfalls rechnet man es ja dieser Phase zu), und muß
sagen, dass ich das Album für sehr ambitioniert, in seiner Vorwegnahme von Trip Hop und Lounge
bzw. Acid Jazz sogar für wegweisend halte. Merkwürdigerweise ist es unverstanden geblieben.
Davids 80er erscheinen mir heutzutage als gar nicht mehr so schlecht, was auch ein wenig damit
zu tun hat, dass ich die vermeintliche Genialität aller späteren Scheiben nicht erkennen kann;
Outside eingeschlossen. Vielleicht, wenn mir der Schöpfer noch 10 Jahre schenkt, wird's ja noch ...
Die neue Scheibe scheint mir wiederum ein wenig interessanter, als die Scheiben nach "Outside",
aber etwas wirklich Geniales kann ich ihr nicht abhören. Sie ist solide, interessant, in Ordnung;
und hat ihre Momente. Dein Vergleich mit "Scary Monsters" ist vielleicht ganz gut; insbesondere
bei Titel 1 höre ich viel von "It's No Game" heraus - aber auch sonst, in der Gesamt-Gewichtung
im Oeuvre von David sehe ich sie irgendwo da. Klar; etwas Neues ist bei manchen Kritikern immer
gleich genial; zumal, wenn jemand lange vorher nichts mehr heraus brachte. Insofern freue ich
mich, dass es die Scheibe gibt, und höre sie mit Genuss, aber hüte mich vor Superlativen.