Rezension bon: Nik Brückner @
Agh! Agh! Ärfz! Aber von vorn.
Das neue Yes-Album. Fangen wir diesmal mit der Frage an, warum man von Yes kein "Close to the Edge" mehr erwarten kann. Das schreiben nämlich viele: "Man kann doch von Yes kein "Close to the Edge" mehr erwarten!" Genau! Warum eigentlich nicht! Oder auch: Von wem denn sonst?
Hat er Recht, live nachspielen, so la la...
Denn die entscheidende Frage bei Alben wie diesen, und sie hängt mit meiner ersten eng zusammen, lautet doch: Braucht es eine Band vom Kaliber Yes', um so ein Album aufzunehmen? Man kann in die Frage jeden Bandnamen einsetzen, immer wenn die Antwort "nein" lautet, hat jemand was falsch gemacht.
Ganz bestimmt nicht, das hätte wirklich von Bands einer niedrigeren Kategorie sein können!
"Es kann doch allen Ernstes heute niemand ein "Close to the Edge" mehr erwarten!" schrieb neulich wieder jemand in einem Yes-Forum. Aber selbstverständlich kann man das! Wenn diese Band Musik dieser Qualität vor 40 Jahren schreiben konnte – dann sollten sie es mit 40 Jahren mehr Erfahrung doch erst recht hinkriegen, oder?
Ja leider hat an diese Besetzung wohl keiner so richtig geglaubt, oder?
Man kann das sogar objektivieren: Yes steht in richtig vielen Rocklexika. Und wenn man die Artikel zur Band durchliest, fällt einem eines ganz schnell auf: Die Zeit zwischen "Yes" und "Drama" wird ausführlich behandelt, die Jahre danach nur kursorisch und zusammenfassend. Bald wird klar: Die Bedeutung der Band liegt darin, dass sie den Progressive Rock mit aus der Taufe gehoben und über Jahre geprägt hat. Auf dem Gebiet des AOR, den sie ab "90125" spielte, hat die Band nicht annähernd Vergleichbares geleistet. Das, genau das ist der Grund, warum viele Hörer Alben wie "Open Your Eyes", "The Ladder", "Magnification" oder "Fly from Here" als Verrat am Erbe der Band empfinden. Denn genau das sind sie.
Was ist es also, das Howe, White und Squire seither lauen AOR so viel besser finden lässt als knackigen Progressive Rock? Die Weisheit des Alters?!?
Oh! Ist es unsere herzensgute Toleranz gegenüber den gebrechlichen Senioren, die uns mit solchen Alben zufrieden sein lässt? Na, die werden sich bedanken! Versucht das mal einem Alten zu drücken: du bist alt, du bringst's eh nicht mehr, seien wir froh, wenn du überhaupt noch was auf die Reihe krichst. Geht's noch?
Nein, andersherum wird ein Schuh draus: Erst wenn du von jemandem nicht weniger als das erwartest, was er zu leisten imstande ist, respektierst du ihn wirklich. Yes haben "Fragile", "Close to the Edge", "Tales" und "Relayer" gemacht. Und das ist ein ziemlich gutes Indiz dafür, dass sie das können. Kuckt Renaissance an, King Crimson, Magma, was haben die auf ihre alten Tage noch hingekriegt!
Yes & Mike Oldfield eben nicht, schade eigentlich.
AOR? Wenn es hier wenigstens AOR zu hören gäbe…
"Heaven & Earth" ist ein Album mit Kinderliedern.
Richtig gelesen.
Die videos, wer immer diese Idee hatte, zeigt Gott sei Dank, was anderes. Radiotauglich, wohl eher
Das fängt gleich am Anfang an. Am Beginn von "Believe Again" belästigt uns Steve Howe mit einer unsäglichen Benjamin-Blümchen-Melodie. In der Folge wird jede interessante melodische Wendung, die sich anböte, im Keim erstickt, um Platz zu machen für längst abgenutzte Yes-Klischees. Das ist unerträglich. Dazu schrummelt hier schon eine akustische Gitarre, die das bis zum Ende des Album nicht unterlassen wird. Im Netz ist zu lesen, dass dieser Song und das abschließende "Subway Walls" die beiden Progtracks des Albums wären, aber das stimmt nicht. Ein paar Verzierungen Howes um Minute vier machen aus dem lahmarschigen Popsöngelchen noch lange keinen Prog. Stattdessen hätte man sich Howes Ideen mal ganz genau anhören und von dort aus weiterarbeiten sollen, dann wäre vielleicht etwas Spannendes entstanden. Früher hätten die so etwas gemacht. Aber Prog ist anspruchsvoll, und das bedeutet Arbeit. Heute bleibt diese Instrumentalpassage in der Luft hängen, weil sie kompositorisch mit dem Rest des Stücks nicht zusammenhängt. Und der Rest enthält viel zu wenige musikalische Ideen, um über die acht Minuten zu tragen.
"The Game" ist ein Popsong. Es ist wichtig, sich die Stelle von 1:01 bis 1:04 genau anzuhören. Der Song geht zurück auf die Zeit um 2006/7 und war eigentlich für ein Soloalbum Chris Squires vorgesehen gewesen. Er ist nun hier gelandet. Das ist nicht gut. Andere Songs von damals wurden für das verquere Chris-Squire-Steve-Hackett-Projekt "Squackett" verwendet. Diese Entstehungsgeschichte erklärt, warum Gerard Johnson (wie Squire Ex-The Syn) als Koautor genannt wird, er war nämlich an den ersten Sessions zu diesem Solo-Album beteiligt gewesen. Damals ist übrigens auch "The Man You Always Wanted Me to Be" fabriziert worden...
Das Kinderliedchen "Step Beyond" mischt Ideen, die nach "Magnification" klingen, mit einem extrem dämlichen Refrain und Quietschekeyboards, die uns wie Pavlovsche Hunde an Rick Wakeman erinnern sollen. Wer wissen will, warum viele Leute der Meinung sind, dass Downes eine vollkommene Fehlbesetzung an den Keyboards ist, sollte sich diesen Song anhören.
Nun folgt ein peinliches Liedchen nach dem anderen. "To Ascend" ist eine 6/8-Ballade – ja, irgendwie, aber die kindliche Melodie ist so vergessbar, der Song so oberflächlich, das Ganze derart lahmarschig, dass man nach zwei Minuten möchte, dass es bitte bald vorübergeht. Gleiches gilt für "In a World of Our Own": Ein verstörender Shuffle, der wohl irgendwie nach happy-go-lucky, irgendwie nach den Sixties, irgendwie nach den Beatles klingen soll, aber das Liedchen ist schlicht zu langsam, die Melodie voll-kom-men uninteressant, und die fetten Orgelakkorde am Ende wirken derart deplaziert, dass man sich fragen muss, was Produzent Baker und Mischmann Sherwood geritten hat, die hier reinzupacken. "Light of the Ages", das klingt wie ein Überbleibsel von Jon Andersons "Song of Seven", ist wieder einer dieser Songs, von denen man sich wünscht, dass sie nur halb so lange dauern.
"It Was All We Knew" – was ist das denn! Ein lammsanftes Hopsassa-Liedchen, zu dem die Kindlein Ringelreihen tanzen können! Howe schrummelt immer noch auf seiner Akustischen herum, oder ist das Davison oder sonstwer, scheißegal, man hat das Gefühl, Baker hat nach dem Ende der Aufnahmen irgendeinen Straßenklampfer engagiert, der noch mal über das ganze Album drüberschrummelt, weil er vergessen hat, die Mitten hochzudrehen. Grauenhaft! Und was soll dieses instrumentale Zwischenspiel bei Minute zwei? Ich meine, das ist gar nicht mal so übel – nur: was soll es hier?
Dass "Subway Walls" veritabler Prog ist, ist angesichts dieser musikalischen Katastrophe dann vollkommen gleichgültig. Im Grunde kommt es einem so vor, als seien die anderen sieben Liedchen dazu da, "Subway Walls" unter Dauerfeuer zu nehmen. Ein orchestrales Intro Downes' (teils geklaut beim auch noch offensichtlichsten Stück Bachs) leitet über zu – Hilfe! Noch einer doofen Kinderliedmelodie! Was ist denn bloß los! Irgendwie möchte man helfen. Dann aber, nach zwei Minuten, ein schönes Bassriff, eine Gesangsmelodie, die zwar erneut nicht überzeugt, aber wenigstens mal nicht für Kinder geeignet ist. Dann ein schwacher, schrummeliger Refrain, der abgelöst wird von einer Variante des Bassriffs. Prima! Irgendwie können sie es offenbar doch noch! Wieder der schrummelige Refrain, dann folgt die interessanteste Passage: ein grooviges Bassriff, ein 7/8 und ein ganzer Takt wechseln sich ab, dazu schöne Soli von Orgel und Gitarre – so kann Yes 2014 klingen? Allen Ernstes? Dann sollten alle, die behaupten, man könne doch "allen Ernstes" heute keinen Prog mehr von der Band erwarten, hier mal ganz genau hinhören. Und beim starken Finale.
Versöhnt? Keineswegs. Im Gegenteil, ich bin schockiert. Umso mehr, als sie mit "Subway Walls" zeigen, dass sie nochwas können, wenn sie sich mal richtig reinhängen. Aber Prog ist kompliziert, und er macht halt ein bisschen mehr Arbeit als einfache Popliedchen. Und abgesehen von "Subway Walls" ist das Album in nahezu jeder Hinsicht eine Katastrophe. Nicht mal die Produktion von Roy Thomas Baker kann da etwas retten - im Gegenteil. Ich meine, der Mann ist alt und hat in den letzten Jahren nicht mehr viel gerissen, aber er ist doch immerhin verantwortlich für Queens "A Night at the Opera", Journeys "Infinity", Mötley Crües "Too Fast for Love" und, ähem, Jon Andersons "3 Ships"… - "Fly from Here"! Musikalisch war das ähnlich schlimm, aber Mensch, klang das gut! Der Sound hier dagegen ist haarsträubend. Zunächst ist nahezu das gesamte Album zu langsam (naja, dass Yes langsam geworden sind, weiß man aus leidvoller Konzerterfahrung - aber man kann die doch mit einem Knöpfchen schneller drehen), zudem ist der Klang blass, flach, ihm fehlt jegliches Volumen: Jon Davisons Stimme klingt auf jedem Konzertbootleg voller und variabler, der Schlagzeugsound klingt nach Pappe, der Bass blutleer (auf "It Was All We Knew" und "Subway Walls" ist er kaum zu hören), und das ununterbrochene, stupide Gitarrengeschrummel ist schlicht nervtötend. Dazu kommen die Vocals, die bekanntlich von Billy "one-track-per-day" Sherwood aufgenommen und abgemischt wurden. Sie klingen entsprechend: bizarr. Ständig klingt es schief, oft asynchron - angeblich macht Sherwood das seit 25 Jahren – hu! hu! Jaja, die Vocals, die er abmischt, klingen schon seit 25 Jahren genau so.
Gut, "Fly from Here" hat rote Zahlen eingespielt - aber muss so ein billiger Mist die Reaktion sein? Das Krasse ist doch, dass Yes mit so einer peinlichen Veröffentlichung nicht nur ihr eigenes Erbe erst recht mit Füßen treten, sondern ihre Fans noch dazu. Ich meine, wer hat uns denn beigebracht, Musik lieben zu lernen wie "Heart of the Sunrise", "Close to the Edge" oder "Relayer", wenn nicht Yes! Für wie debil müssen die uns halten, wenn sie glauben, uns so etwas auftischen zu können! Glauben die, wenn nur ordentlich über "consciousness", den "believer" und "the eyes of a child" gesungen wird, Howe schön drübersoliert und das Ganze in einem Roger-Dean-Cover steckt, dann merken wir schon nichts?!? Dass Squire keinen Prog mehr hört, diktiert er ja seit mindestens 25 Jahren jedem Journalisten in die Feder, aber dass die Herren offenbar seit Jahren überhaupt keine zeitgenössische Musik mehr hören, muss einen bei Profimusikern schon sehr befremden. Yes sollten sich für diese Liedchen entschuldigen, auf der Stelle aufhören, 40 Jahre alte Alben zu touren und Schiffchen zu fahren, und stattdessen stante pede ins Studio zurückkehren und ein paar Songs auf dem Niveau von "Subway Walls" aufnehmen. Dann könnte man halbwegs versöhnt auseinandergehen.
A propos: Wer schreibt denen eigentlich die Songs? Nun, ähnlich wie Horn und Downes beim letzten Album hat diesmal Davison das meiste beigesteuert. Langjährige Fans dürfte das kaum überraschen: Wenn Yes am Boden waren, haben sie sich immer schon Alben von anderen Songwritern geholt: Trevor Rabin ("90125"), Billy Sherwood ("Open Your Eyes"), The Buggles ("Fly from Here"). Diesmal ist es halt Jon Davison. Davisons kindliches Songwriting ist aber nicht einmal das eigentliche Problem, das liegt ganz woanders: Wer jahrzehntelang verkündet, eine bestimmte Besetzung sei "klassisch", ein bestimmter Bassist sei der "Keeper of the Flame", oder ein bestimmter Sänger sei (die Seele von) Yes, der ist halt irgendwann dazu verdammt, an diesen Leuten festzuhalten, auch wenn die längst nicht mehr können - weil die Fans diese Dinge so oft gehört haben, dass sie sie für das Evangelium halten. Yes als Generationenband, diese Idee aus den 90ern fand ich gut. Nun aber muss auch der letzte Verteidiger Chris Squires erkennen, dass der Mann die Band in den letzten Jahren an die Wand gefahren hat. Und die Alternative? "Bringt Anderson und Wakeman zurück!" – aber glaubt wirklich jemand da draußen, dass dieses Album auch nur einen Deut anders klingen würde, wenn Anderson und Wakeman dabei wären? Dass wir dann ein echtes, knackiges Progressive-Rock-Album vor uns hätten? Nicht im Ernst, oder? Habt Ihr Euch mal "The living Tree" angehört?!?
Nein nein. "Bringt ein paar Progressive-Rock-Musiker in die Band!", das müsste man fordern. Dazu müssten aber erst einmal all diejeinigen gehen, die keinen Prog spielen, weil sie keinen Prog spielen wollen, und dann all jene, die keinen Prog spielen, weil sie keinen Prog mehr spielen können. Ist ja nicht so, dass die es alle total faszinierend fänden, Kinderlieder zu spielen. Das Problem dabei: Es bliebe dann genau ein Musiker übrig: Steve Howe. Der ist (mal wieder) der einzige, dessen Performance zu überzeugen weiß. Vieles von dem, was er hier spielt, ist im Rahmen dessen, was diese grauenhafte Musik zulässt, gut. Andererseits, wenn der wollte, könnte er längst mit anderen Musikern zusammen geilen Prog spielen. Macht er aber nicht. Stattdessen spielt er weiter mit diesen… diesen…
no command!